Erst schweigen, dann handeln

Manchmal ist eine Minute sehr lang. Als am letzten Sonntag ein Gast in der Fernsehsendung von Günter Jauch spontan fordert, dass jetzt alle für eine Minute schweigen sollten, ist zu spüren gewesen, dass manche die Minute kaum ausgehalten haben. Günter Jauch hatte sie gleich am Anfang verhindern wollen, später versucht er erneut, das Schweigen zu beenden.

Schweigen für die Toten. Für „die ertrunkenen Brüder und Schwestern“ schweigend zu beten, dazu hatte am Sonntagmittag schon Papst Franziskus beim Angelus-Gebet auf dem Petersplatz Zehntausende Gläubige aufgefordert. Schließlich erhoben sich am Mittwoch auch die Bundestagsabgeordneten zu einer Minute des Schweigens.

Was bedeutet dieses Schweigen eigentlich? Was machen die Menschen, wenn sie schweigen? In einem Radiobeitrag hat vor wenigen Tagen ein Kommentator gefordert: „Bitte nicht noch mehr Schweigeminuten!“ Ihm scheint dieses Schweigen, in dem man der ertrunkenen Opfer gedenkt, wie ein Ausweichen vor konkreten Maßnahmen, mit denen weitere Flüchtlingstragödien abgewendet werden könnten.

Aber ist das kollektive Schweigen wirklich nicht mehr als eine hilflose und irgendwie peinliche Geste? Für mich ist dieses Schweigen so etwas wie ein Gefäß, in das Menschen ganz unterschiedlicher Auffassungen hineinpacken können, was sie gemeinsam bewegt.

Wer schweigt, zeigt Respekt vor den Toten. Schweigend kann ich dem Raum geben, was in meinem Inneren an Schmerz ist. Wer schweigt, hat auch dafür Platz, nach der eigenen Schuld zu fragen. Ich muss es nicht gleich in Worte fassen, die dann am Ende doch nur wieder die halbe Wahrheit ausdrücken.

Manche beten in der Stille und bringen so ihre Trauer und ihr Entsetzen vor Gott. So gesehen ist es vielleicht gerade eine Schweigeminute, die mir hilft, in den Flüchtlingen nicht einfach ein Problem zu sehen. Sondern verzweifelte Menschen, die auf unsere Hilfe warten.