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Sag mir, dass es einen Himmel gibt

Sag mir, dass es einen Himmel gibt

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Ein Feiertag im Frühling mitten in der Woche – das ist eine feine Sache. Zeit zum Nachdenken. Auch Zeit, um etwas zu unternehmen. Heute ziehen insbesondere viele Väter los, für sie ist Vatertag. Väter haben einander viel zu erzählen. Denn Vater Werden – das verändert einen Mann tiefgreifend. Plötzlich hält er ein kleines, süßes und hilfsbedürftiges Kind im Arm. Er spürt: Jetzt werde ich dringend gebraucht. Ich bin jetzt mit verantwortlich für den Schutz eines neuen Lebens.

Dazu gehört auch die Frage: Was gebe ich meinem Kind eigentlich mit? Außer meinen Genen, die schon drin sind. Welche Werte? Welche Überzeugungen? Welche Hoffnungen habe ich für meine Kinder einzubringen? Das sind Fragen, die den Horizont öffnen, sogar bis zum Himmel.

Auch der englische Popsänger Chris Rea hat sich diesen Fragen gestellt, als er Vater wurde. 1983 haben seine Frau und er die erste Tochter bekommen – Josephine. 1989 folgt die zweite Tochter. Sie heißt Julia. Während nun der liebevolle Vater die Kleine im Arm hält, ist die ältere Schwester Josephine mit ihren sechs Jahren bereits ein aufmerksames Mädchen geworden. In diesem Alter bekommen Kinder schon manches mit. Auch vom Kummer in dieser Welt. Viele leiden unter Not und Ungerechtigkeit. Viele verlieren sogar ihr Leben durch Krieg und Gewalt. Das treibt das kleine Mädchen um. Mit ihrer offenen Kinderseele fragt sie: Warum ist das so? Und sie wünscht sich, dass alles wieder heil werden möge. Irgendwie und irgendwo.

Sie wendet sich damit an ihren Vater. Der hat darüber einem Song geschrieben, in dem er seiner rauen Rock-Stimme ungewohnt sanfte Töne entlockt. Es ist das zärtliche Wiegenlied eines kernigen Vaters. Sein Titel lautet: „Tell me there is a heaven“ – “Sag mir, dass es einen Himmel gibt“. Und so beginnt auch der Refrain:

"Sag mir, dass es einen Himmel gibt. Sag mir, dass es wahr ist. Sag mir, dass es einen Grund gibt, warum ich das sehe, was ich sehe. Sag mir, dass es einen Himmel gibt, wo all diese Leute hingehen. Sag mir, dass sie jetzt glücklich sind. Papa, sag mir, dass das so ist!“

Musik

„Sag mir, dass es einen Himmel gibt“, das fragt, ja, das fordert das kleine Mädchen von seinem Papa. Damit bringt sie zusammen, was heute zusammengehört. Denn heute ist ja nicht nur Vatertag, sondern – und das ist der ursprüngliche Sinn dieses Feiertags – heute ist Christi Himmelfahrt. In den Kirchen wird heute die biblische Geschichte erzählt, wie Jesus seine Jünger verlässt. Vor ihren Augen wird Jesus entrückt. Er kehrt zurück zu Gott, seinem Vater in den Himmel. Für die Menschen in biblischer Zeit war das nicht so schwer zu verstehen. Für sie war der Himmel unerreichbar. Sie konnten nicht fliegen. Sie konnten auch noch nicht mit großen Teleskopen in ferne Galaxien blicken. Für sie war das alles eins, und zwar das Reich Gottes. Deshalb konnten sie sich Bilder davon machen, wie Jesus in den Himmel fährt. Da sieht man unten die staunenden Jünger und oben eine Wolke, aus der gucken unten nur noch die Füße Jesu heraus. Diese Bilder wirken heute geradezu komisch. Denn heute wissen wir über den Himmel viel mehr. Wir fliegen sogar darin herum.

Doch das ist ein anderer Himmel als der, den Jesus ansteuert. Diese beiden zu unterscheiden, ist in der deutschen Sprache allerdings schwer. Ausgerechnet sie, die überall so gerühmt wird für ihren Reichtum an Worten, hat nur ein Wort für zwei verschiedene Himmel. Das kann die englische Sprache besser, denn sie hat zwei Wörter dafür. Das eine ist der Sky, der Himmel, in dem die Vögel, die Flugzeuge und die internationale Raumfahrstation ISS herumfliegen. Der andere ist der Heaven, der Himmel als Sehnsuchtsort für diejenigen, die Gott suchen. Dorthin, zu Gott, kehrt Jesus zurück. Und dorthin lädt er auch die Menschen ein. Darum geht es ihm. Dafür war er, der Sohn Gottes, auf die Welt gekommen, um Gottes Botschaft zu überbringen: „Es gibt einen Himmel und einen Gott, der euch liebt. Er reicht euch die Hand und sagt: Mein Himmel steht euch offen.“ Diese Einladung hat Jesus überbracht. Nun kehrt er wieder zurück in den Himmel, zu Gott. So erzählt es die Bibel.

Ich weiß: Viele moderne Menschen sind skeptisch, ob es so etwas überhaupt gibt: einen Himmel, in dem Gott wohnt und mit ihm auch sein Sohn Jesus Christus. Viele glauben auch nicht, dass sie selbst dort einen Platz haben könnten. Dieser Himmel ist vielen verloren gegangen. So scheint es.

Merkwürdig ist nur, dass dieser verlorene Himmel immer noch durch die deutsche Sprache geistert: Da ist eine Frau frisch verliebt und erzählt, dass sie gerade im Siebten Himmel schwebt. Damit will sie ausdrücken, wie glücklich sie ist, glücklicher als man im normalen Leben eigentlich sein kann.

Oder ein Vater schaut liebevoll auf sein kleines Kind und sagt: Die Kleine ist ein Geschenk des Himmels. So versucht er auszudrücken, wie sehr sein Vater-Glück alles Alltägliche übersteigt. Es gibt eben Situationen, da braucht man den Himmel, weil alles andere einfach zu klein ist. Man braucht den Himmel als Fixpunkt für die großen Fragen nach dem Wert, nach dem Warum und dem Wohin des Lebens.

Genau diesen Fragen ist auch das kleine Mädchen auf der Spur, über das Chris Rea in seinen Song singt. „Tell me there is a Heaven“ „Sag mir, dass es einen Himmel gibt“. Die erste Strophe stellt die Fragen des Mädchens:

"Das kleine Mädchen fragte mich: \"Was bedeuten all die Dinge, die ich sehen kann. Jeden Abend wenn ich von der Schule nach Hause komme. Wenn Mama mich zum Tee hereinruft. Jede Nacht stirbt ein kleines Kind. Und jede Nacht weint eine Mutter. Was lässt diese Männer das tun, was sie tun – Jemanden grün und blau schlagen?\"

Musik

Das kleine Mädchen hat etwas von der Brutalität der Welt gesehen. Das treibt sie um. Mit ihren bangen Fragen geht sie zu ihrem Vater und bringt den damit ganz schön ins Nachdenken. Gut so! Viele Väter stehen vor solchen Fragen: Was geschieht mit denen, die nicht zu ihrem Leben finden? Was geschieht mit den Opfern von Gewalt und Krieg? Für manche fängt die Gewalt ja schon zuhause in der Familie an. Was geschieht mit den Hungernden? Wird ihr Leid geheilt? Und was geschieht mit all den Afrikanern und Syrern, die im Mittelmeer ertrinken? Sind sie nur sinnlose Opfer für nichts? Oder macht ihr Leben dennoch etwas aus? Kommen sie wenigstens in den Himmel?

Was sagt man dazu als liebevoller Vater zu seinem Kind? Und: Welche Antwort hat man für sich selbst?

Das kleine Mädchen in dem Song von Chris Rea sehnt sich sichtlich nach einer glimpflichen Lösung, nach einem himmlischen Happy End für alle.

Wird Chris Rea ihrem Drängen nachgeben? Oder wird er ihr die Welt als grausam und oft genug sinnlos darstellen? Was glaubt er eigentlich selbst?

"Also erzähle ich ihr, dass das wahr ist. Dass es einen Platz gibt für mich und dich, wo hungernde Kinder lächeln und sagen: Wir hätten es nicht anders haben wollen. Dass jedes schmerzhafte Knochenknacken ein Schritt auf dem Weg ist. Jede Untat gehört zum Spielplan für jenen großartigen und glückseligen Tag."

Chris Rea lässt das kleine Mädchen hoffen – auf den Himmel als Sinn und Ziel allen Lebens. Ist das eine Lüge? Ein hohler Spruch, der das Kind nur beschwichtigen soll? Eben jenes berühmte Opium fürs Volk, wie es die Philosophen Karl Marx und Ludwig Feuerbach als Kritik an jeglicher Religion formulierten? Sie argwöhnten:Der Glaube an Gott lullt die Menschen nur ein und vertröstet, wo sie doch durch Wut und Mut und Revolution etwas Besseres erreichten könnten. Ich halte dagegen und behaupte: Wer dem kleinen Mädchen die Hoffnung auf den Himmel nimmt, nimmt ihm auch die Kraft zum Kämpfen.

Und was tut Chris Rea? Er wagt einen Schritt in Richtung Gottvertrauen. Vielleicht eher getrieben als freiwillig. Zunächst womöglich nur, weil er dem kleinen Mädchen die Hoffnung nicht nehmen will. Doch aus diesem Versuch wird mehr. Der liebevolle Vater Chris Rea macht sich am Ende nicht nur die Sorgen des Mädchens zu eigen, sondern auch ihre Sehnsucht nach einem heilenden Himmel. Ist das schon Glauben?

Ja, denn manchmal ist der Glaube nicht mehr als eben dieses: die Sehnsucht danach, dass es Gott gibt, der das verkrüppelte Leben bei sich im Himmel aufnimmt. Diesen Gott spricht Chris Rea an. Damit zeigt er sich als ein verletzlicher Vater, der die Hoffnung seiner Tochter teilen möchte:

"Und ich schaue auf den Vater und den Sohn. Und ich schaue auf die Mutter und die Tochter. Und ich beobachte, wie sie vor Schmerz weinen. Und ich beobachte, wie sie leiden. Sag’ es nicht dem kleinen Mädchen, sag es mir. Sag es mir, dass es einen Himmel gibt. Sag mir, dass es wahr ist. Sag mir, dass es einen Grund gibt, warum ich das sehe, was ich sehe."

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