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Der Osterspaziergang

Der Osterspaziergang

Pia Baumann
Ein Beitrag von Pia Baumann, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Es ist Ostermontag. Ich freue mich. Gleich geht es los. Meine ganze Familie macht sich auf den Weg. Denn der Ostermontag ist bei uns der Tag für den Osterspaziergang. Wir gehen raus in die Natur. Wenn möglich in den Wald. Meine Kinder sagen: Ein Spaziergang!? Das ist eigentlich nicht so unser Ding. Mit dem Osterspaziergang ist das anders. Der bringt uns alle in Bewegung, ist was Besonderes. Er ist mit das Schönste am Osterfest überhaupt.

Die Kinder sind sicher: Obwohl das große Ostereiersuchen schon hinter ihnen liegt, werden am Wegrand noch Überraschungen auf sie warten. Schokoladeneier, die der Osterhase gestern auf seinem Weg in die Gärten und Häuser verloren hat.

Sie haben deshalb kleine Körbe dabei. Und tatsächlich, sie müssen nie weit gehen. Bald schon leuchtet ihnen das erste Ei vom Wegesrand entgegen. Schnell sind sie im Sammelrausch. Heimlich versuchen wir die Eier Stück für Stück wieder aus den Körben rauszunehmen. Und verstecken sie ein paar Meter weiter vorne neu. Für alle ein großer Spaß. Kein Kind hat je bemängelt, dass sich immer wieder dieselben Eier im Körbchen einfinden.

So laufen wir bestimmt zwei Stunden. Und niemandem wird der Weg zu lang. Während die Kinder jedem vermeintlich neuen Ei entgegenfiebern, genießen wir Großen, die frische Luft und die gemeinsame Zeit.

Manchmal scheint es mir, als würde mir erst an diesem Tag auffallen, dass über Nacht der Frühling gekommen ist. Das triste Wintergrau ist völlig verschwunden. Alles erwacht zu neuem Leben. Alles ist frisch und neu. Das Grün der jungen Blätter. Die Farben der frühen Blumen. Wir gehen und reden und lassen das Dunkel der vergangenen Monate hinter uns. Viele sind heute unterwegs. Denn es ist Ostern.

Ostern ist für Christen ein ganz besonderes Fest. Wie viele gehe ich heute nicht nur raus laufen, sondern auch in den Gottesdienst. Wir feiern und lassen uns sagen: Jesus Christus ist auferstanden. Das Leben wird neu. Gott geht mit uns. Auch über den Tod hinaus.

Was für eine wunderbare Botschaft. Der Tod ist nicht das Ende. Jesus ist auferstanden. Nur, wie habe ich mir das eigentlich vorzustellen? Eine Auferstehung? Was bei einer Geburt passiert, kann sich jeder ausmalen. Aber wie bitte sieht Auferstehung aus? Keine leichte Frage. Manche Menschen nähern sich deshalb dieser Frage Schritt für Schritt. Auf einem religiösen Osterspaziergang, dem sogenannten Emmausgang.

Musik

In aller Herrgottsfrühe sind heute Morgen einige Menschen im Gottesdienst gewesen. Danach haben sie sich gemeinsam auf einen Spaziergang gemacht. Den Emmausgang. Das ist ein uralter Brauch. Seine Wurzeln reichen zurück bis in die Bibel. Mit Liedern, Texten und Gebeten erinnern sich diese Frühaufsteher an die Geschichte zweier Jünger aus dem Lukasevangelium. Und die geht so:

Zwei Männer sind auf dem Weg. Sie waren Jünger Jesu. Es ist Ostern, aber davon wissen die beiden noch nichts. Oder wollen nichts davon wissen. Denn Gerüchte haben sie schon gehört. Es heißt, zwei Frauen seien zum Grab gegangen. Sie wollten den Leichnam von Jesus noch einmal waschen. Aber das Grab war leer. Zwei Männer hätten die Frauen erwartet. Engel. Die sollen gesagt haben: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.

Auferstehung? Was soll das sein? So fragen sie sich. Die beiden Jünger wollen nur noch nach Hause. In ihr Dorf mit dem Namen Emmaus. So schnell wie möglich. Denn nichts hält sie mehr in Jerusalem. Es liegen schreckliche Tage hinter ihnen. Sie mussten erleben, wie Jesus verhaftet wurde. Wie er am Kreuz starb. Wie er begraben wurde. Und mit ihm ihre ganze Hoffnung. Ihre Herzen sind schwer. Während sie gehen, versuchen sie zu begreifen, was passiert ist. Sie reden. Sie überlegen. Hin und her. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wer war schuld? Hatten sie sich so in Jesus getäuscht? Woran sollten sie jetzt noch glauben? Worauf hoffen?

Plötzlich bekommen sie Gesellschaft. Ein Mann schließt sich ihrem Weg an. Es ist Jesus, aber die beiden erkennen ihn nicht. Es war, als hielte ihnen jemand die Augen zu. Für sie ist der Mann nur ein Fremder. „Was ist denn mit euch los“, fragt dieser Mann die beiden Jünger. „Ihr macht ja Gesichter, als ob etwas Schlimmes passiert wäre.“ Sie sind verwundert darüber, dass der Unbekannte so gar nichts weiß von dem, was da in Jerusalem passiert ist. Sie beginnen zu erzählen. Der Fremde hört erst einmal nur zu. Lässt sich alles erklären. Das tut den beiden Jüngern gut. Mit jedem Wort, das sie sagen, wird die Last ihrer Herzen leichter.

Als sie sich ihren Kummer von der Seele geredet haben, schaut der Fremde sie an und fragt: Wieso seid ihr so begriffsstutzig? Glaubt ihr nicht an das, was die Propheten gesagt haben? Denkt ihr wirklich, das mit Jesus ist jetzt aus und vorbei?

Ich stelle mir vor, wie die drei beim Gehen ins Diskutieren kommen. Wäre es nicht auch vorstellbar, dass Gott mit Jesus etwas ganz besonderes vorhatte? Das alles, so wie es war, einem Plan folgte? Dass aus dem Tod neues Leben entstehen kann? Dass es einen neuen Anfang gibt? Das sind Gedanken, die die beiden Jünger so noch nicht hatten. Sie schöpfen neue Hoffnung. Das Gespräch mit dem Unbekannten erinnert sie an die langen und interessanten Gespräche, die sie früher mit Jesus geführt haben.

Das Gehen und Reden mit dem Fremden belebt die Beiden. Am Ende des Wegs, in Emmaus angekommen bitten sie ihn, bei ihnen zu bleiben. Sie laden ihn zum Abendessen ein. Der Fremde bleibt und isst mit ihnen. Die Gespräche gehen weiter. Und am Ende der Mahlzeit nimmt der unbekannte Mann das Brot, spricht das Dankgebet, bricht das Brot entzwei und gibt es den Jüngern.

Und was auch immer ihnen bis hierher den Blick getrübt hatte, plötzlich fällt es wie Schuppen von ihren Augen. Sie erkennen: Jesus! Er ist hier. Bei ihnen. Die ganze Zeit schon. Im selben Moment – so steht es in der Bibel – verschwindet der Unbekannte. Die beiden Jünger hält jetzt nichts mehr. Sie springen auf und laufen den ganzen Weg zurück nach Jerusalem. Als sie ankommen, rufen sie ihren Freunden zu: „Jesus lebt. Er ist nicht tot. Er ist mit uns gewesen, auf unserem Weg, in unseren Gesprächen, bei unserem Essen. Lebendig.“ Und jetzt glauben sie es auch: „Er ist auferstanden! Alles wird neu!“

Musik

Jesus lebt. Er ist auferstanden. Das ist die Botschaft von Ostern. Genau wie die Jünger aus Emmaus denke ich manchmal: Auferstehung. Fast zu schön, um wahr zu sein. Unglaublich. Unvorstellbar.

Aber man muss sich das auch gar nicht vorstellen können oder erklären, was eine Auferstehung ist und wie sie genau aussieht. Es ist gerade richtig, sich dieser Botschaft einfach Schritt für Schritt zu nähern. Wie die Jünger aus Emmaus. Und am besten gemeinsam – beim Gehen oder Spazieren. So wie ich gleich mit meiner Familie beim Osterspaziergang.

Belebt vom Erwachen der Natur werden wir uns viel erzählen auf diesem Weg. Neues von der Arbeit. Wie es mit der Renovierung des Hauses vorangeht, oder auch nicht. Was die Kinder in der Schule erleben. Und was die Gesundheit so macht. Ganz Alltägliches, aber auch Besonderes kommt zur Sprache.

Beim Gehen kann man sich besonders gut sagen, was man auf dem Herzen hat. Wenn ich gehe, komme ich in Bewegung. Nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf. Gedanken fangen an zu fließen. Daraus ergibt sich manchmal ganz Neues.

So ist es ja auch den Jüngern aus der Geschichte ergangen. Im Laufe ihres Weges hat sich verändert, was sie fühlen und wie sie die Dinge sehen, die sie erlebt hatten. Auf dem Hinweg waren sie traurig und hoffnungslos. Auf dem Rückweg freuen sie sich und jubeln. Sie erkennen: die Geschichte mit Jesus ist nicht zu Ende. Er war bei ihnen. Die ganze Zeit. Er war mit ihnen gegangen. Auf dem Hinweg. Auf dem Rückweg. Im Leid. Und in der Freude. Im Gespräch und auch bei ihrem Abendessen.

Die Geschichte sagt bis heute: Ostern ist ein Weg. Und der Auferstandene geht mit. Er ist in Höhen und Tiefen an meiner Seite. Und nicht nur mit mir. Mit allen, die sich heute am Ostermontag auf den Weg machen.

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