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Der Weg ist das Ziel

Der Weg ist das Ziel

Uwe Groß
Ein Beitrag von Uwe Groß, Katholischer Diakon, Pfarrei St. Peter und Paul, Wiesbaden
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Neulich habe ich eine Postkarte bekommen von jemandem, den ich kaum kenne. Ein hr2 Hörer war auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostella: und er hat mir geschrieben: Machen Sie doch mal einen Beitrag übers Pilgern! Mit der Postkarte fielen mir direkt meine eigenen Santiago-Reisen wieder ein, meine vielen Wege, die ich zu Fuß und mit dem Rad schon selbst durch Nordspanien gegangen oder gefahren bin. Ich erinnere mich daran, wie ich nahezu erschöpft mit dem Fahrrad durch die Weinfelder der Region Rioja fuhr und mir Trauben von den Weinstöcken gepflückt habe. Die Trauben waren so saftig, dass ich wieder neue Kraft bekommen habe und weiter radeln konnte. Ich denke zurück an die übervollen Pilgerherbergen, in denen ich mit 40 Leuten oder mehr  zusammen die Nacht verbracht habe, ich denke an eine Pilgermesse auf der höchsten Stelle des Weges, dem Rabanalpass, ich denke an eine alte Frau, die mir die Hand küsste, als sie hörte, dass ich ein Santiago-Pilger sei…. Diese und noch viel mehr Bilder tauchen in mir auf, während ich die Karte aus Spanien in der Hand halte.

Der Pilger hat mir auch einen Text geschickt, der ihm auf seinem Weg wichtig geworden ist, dort heißt es: „Geh, seit deiner Geburt bist du auf dem Weg. Geh, eine Begegnung wartet auf dich. Wo? Mit wem? Du weißt es noch nicht. Vielleicht mit dir selbst. Dein Schweigen wird schließlich zu dir sprechen…“Ja ich erinnere mich, ich bin auch oft schweigend meinen Weg mit dem Fahrrad gefahren. Manchmal habe ich unterwegs Wanderer oder andere Radfahrer getroffen und wir sind kurz ins Gespräch gekommen. Die Menschen auf dem Weg nach Santiago kommen aus vielen Ländern der Erde, viele würden sich selbst nicht mal als religiös bezeichnen, doch wir alle – auf diesem Weg – waren auf der Suche nach etwas. Dieses Etwas ist für jeden etwas anderes: Manche, die ich getroffen haben, sind aus ihrem Beruf ausgestiegen oder haben eine Trennung von ihrem Partner hinter sich. Sie haben mir erzählt, dass für sie dieser Weg wichtig ist, um Kraft zu finden für einen neuen Weg in ihrem Leben zuhause. Andere waren auf dem Pilgerweg, weil sie etwas darüber gelesen oder gehört hatten oder weil sie nach ihrem Studium noch etwas Zeit hatten, bis sie eine Arbeit aufnehmen. Einige hatten eine Krankheit hinter sich und lösten ihr Versprechen ein und andere wollten einfach eine schöne Wanderung durch Nordspanien machen. Die Begegnungen mit all diesen Menschen war für mich das Wichtigste auf diesem Weg: die Lebensgeschichten, die wir schnell und ohne lange Umschweife mitgeteilt haben: Wir waren so etwas wie eine Gemeinschaft von Individualisten auf dem Weg zu sich selbst.

Ich muss gestehen, ich war traurig als ich in Santiago ankam: So schnell waren diese Tage und Wochen vorbei gegangen, in denen ich so viel Leben von mir und anderen gespürt hatte. In die Kirche mit dem Schrein des heiligen Jakobus bin ich natürlich auch gegangen. Ich habe auch die Reliquie des Heiligen berührt. Aber viel wichtiger für mich war der Weg und nicht das Ziel. All die Erfahrungen, Begegnungen, Entbehrungen und Glücksmomente auf dem Weg nach Santiago waren die eigentlichen Highlights. „Der Weg ist das Ziel“. Der Satz hat für mich genau gestimmt.

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