Ihr Suchbegriff
Tag des Unkrauts
Pixabay

Tag des Unkrauts

Eva Reuter
Ein Beitrag von Eva Reuter, Katholische Pastoralreferentin, Betriebsseelsorge im Bistum Mainz / Regionalstelle Rheinhessen

Ich habe einen kleinen Garten. Und ich gebe zu: Beim Anblick des Unkrauts, das sich da so breit macht, war ich doch schon einige Male in Versuchung, die chemische Keule auszupacken. Aber dann habe ich ein interessantes Kochbuch gefunden, in dem lauter leckere Rezepte mit sogenannten „Unkräutern“ stehen.

Viele sogenannten Unkräuter sind nämlich essbar: Löwenzahn zum Beispiel kann man vollständig verwenden: Die Blätter zu Salat, die Wurzel ähnlich wie Radieschen zu Salat oder aufs Brot. Und aus den Blüten lässt sich ein Sirup herstellen, der herrlich mild schmeckt. Dazu ist Löwenzahn auch noch gesund. Er hat viel Vitamine und Spurenelemente und wirkt verdauungsfördernd. Auch Brennnesseltee hat gesundheitsfördernde Wirkung.

Heute, am Tag des Unkrauts, lohnt es sich, mal einen versöhnlichen Blick in den Garten zu werfen oder auf wenig gepflegte Grünflächen. Vielleicht wächst der Löwenzahn da nicht, um mich zu ärgern, sondern um mir ein sozusagen wartungsfreien Kräutergarten anzubieten. Vielleicht macht er mich aufmerksam: Beharrlichkeit und Widerstandsfähigkeit zahlen sich aus, wenn man seinen Standort behaupten will. Dass man sich dabei nicht bei allen beliebt macht, ist die Nebenwirkung.

Der Tag des Unkrauts macht mich aber auch darauf aufmerksam, dass es eine willkürliche Klassifizierung ist, was ich als „Unkraut“ betrachte. Früher galt zum Beispiel die Tomatenpflanze in Südamerika als Unkraut. Und nach dem Krieg war Brennnesselspinat eher eine Notlösung; heute ist er eine hippe Spezialität.

Es liegt an mir, wie ich etwas betrachte, was da wächst und zu Gottes Schöpfung zählt. Bisher habe ich oft nach „Nutzpflanze“ und „Unkraut“ sortiert. Vor allem auch deswegen, weil ich gar nicht wusste, was man aus diesen Pflanzen alles machen kann. Es ist ja eine Festlegung, zu welcher Kategorie ein Pflänzchen gehört. Bis vor wenigen Jahren galt Rucola als Unkraut – das hätte ich nicht gedacht!

Jesus sagt: Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. (Lk 6, 43) – So gesehen, ist der Löwenzahn eine gute Pflanze. Jesus lenkt den Blick aber mit diesem Bild auch darauf, dass es letztlich auf die Früchte ankommt. Also auf das, was jemand hervorbringt, und nicht, wie er aussieht oder wo er herkommt.

Ich fänd‘s schön, wenn es auch dafür einen Tag gäbe: der hieße dann vielleicht „Tag der verborgenen Qualitäten“. Dieser Tag könnte unseren Blick darauf lenkt, dass Menschen, die auf den ersten Blick als nicht „nützlich“ für eine Gesellschaft gelten, vielleicht ganz besondere Qualitäten haben.

Ich wünsche mir, dass es mir und vielen anderen Menschen immer häufiger gelingt, diesen Blick auf unsere Umwelt zu haben - auf die Pflanzen und die Menschen. Ich wünsche mir, dass mit mir viele Menschen neugierig und mit Entdeckerfreude auch auf Menschen zugehen, die auf den ersten Blick eher anstrengend erscheinen. Vielleicht kann ich von dem alten, dementen Menschen lernen, Dinge langsam und prägnant zu formulieren. Vielleicht kann mich der Mensch mit geistiger Behinderung dazu bringen, auf die Freude im Leben oder die wirklich wichtigen Dinge zu achten. Vielleicht entdecke ich dann, wie schön mein Leben mit Löwenzahnsalat und interessanten Begegnungen ist.

 

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren