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Kleine Welten
Bild: ella_angelika_pixabay

Kleine Welten

Dr. Susanne Nordhofen
Ein Beitrag von Dr. Susanne Nordhofen, Ehemalige Leiterin eines katholischen Gymnasiums in Königstein/Taunus
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1572 ließ ein Alchemist den allerersten Prototypen einer Schneekugel herstellen. In einer geschlossenen Glaskugel schwammen Vögel auf Wasser. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Schneekugel von einem österreichischen Chirurgieinstrumentenmacher neu erfunden. Von seiner Wiener Fabrik aus trat dies putzige Ding als Mitbringsel ihren Siegeszug um die Welt an. Die Fabrik existiert noch und beherbergt ein Schneekugelmuseum. Man findet auch Bastelanleitungen, wie man eine Schneekugel selbst herstellen kann. Es sind immer dieselben Zutaten: eine Bodenplatte, eine gewölbte Halbkugel, ein Motiv, Wasser und künstlicher Schnee. Die Motive der Schneekugeln sind ganz unterschiedlich: Landschaften, Wahrzeichen, Märchenfiguren, persönliche Andenken und vieles mehr. Sogar eine schwarze Smogkugel wurde einmal erfunden, um auf die Luftverschmutzung hinzuweisen. Das ist dann nicht mehr ganz so putzig.

Die Schneekugel erinnert mich an die biblische Erzählung vom Paradies

Die Miniaturwelten unter dem Glassturz erinnern mich ein bisschen an die biblischen Erzählungen vom Paradies: mit der Erde als Scheibe, mit den Wassern drumherum und der alles überwölbenden Himmelskuppel. Wenn die Schleusen des Himmels sich öffnen, ergießen sich daraus Wasserfluten.

Als ob die Erfinder dem Schöpfer in die Karten gucken wollten

Ich finde es besonders interessant, dass ein Alchimist die Schneekugel erfunden hat. Alchemie - dabei denke ich automatisch an die Idee der künstlichen Herstellung von Gold. Oder an Dr. Faustus in seiner Alchemistenküche. Eigentlich waren Alchemisten frühe Naturwissenschaftler, auch wenn ihre Methoden nicht systematisch ausgebildet waren und viel Phantasie im Spiel war. Das Ziel ihrer Versuche war durchaus ernsthaft: Sie wollten der ersten Materie der Welt auf die Schliche kommen. Dieses Ursubstrat sollte gewissermaßen das Spielmaterial der Schöpfung sein, weil sich daraus alles sollte machen lassen können. Auch Gold. Das ist schon fast eine philosophische Frage: Was ist der Urgrund allen Seins? Das Wissen über diese Urmaterie wäre ungeheuer machtvoll. So als ob man dem Schöpfer in die Karten gucken könnte. Dieser Wissensdrang mag auch den Erfinder der ersten Schneekugel von 1572 beflügelt haben.

Wissen ist Macht

Wissen ist Macht, heißt es ja auch heute noch. Und die Frage, wie alles einmal angefangen hat, beschäftigt Kinder und Physiker gleichermaßen.

Dieses kleine Universum in der Hand zu haben, hat einen eigenen Zauber

Es hat einen eigenen Zauber, wenn man die Schneekugel in die Hand nimmt und es regnen oder schneien lassen kann, nur, weil man es hier und jetzt gerade so will. Vielleicht ist es ein kleiner Zauber der Macht, denn für ein paar Sekunden hat man die kleine Schöpfung unter der Glashaube wortwörtlich in der Hand. Vielleicht sind deshalb Kinder so fasziniert davon.

Der Anblick der Erdkugel aus dem Weltall – faszinierend und ergreifend

Die ersten Bilder von der echten leuchtenden Erdkugel, wie sie da im dunklen Weltraum schwebt, wurden 1968  während der Apollo 8 Mission gemacht. Sie haben mich damals sehr berührt. Der Anblick war einmalig, wunderschön und sehr ergreifend. Der blaue Planet - das ist unsere Welt? Und die Zuschauer konnten sie hinter dem gläsernen Fernsehschirm von allen Seiten betrachten! Fast schon eine göttliche Perspektive. Dabei kam mir der Satz in den Sinn, der in der Bibel jeden Schöpfungstag abschließt: „Und Gott sah, dass es gut war.“ Die kleinen Schneekugeln können die Hoffnung wachhalten, dass es wieder so wird.

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