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Die Erde ist doch rund!
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Die Erde ist doch rund!

Dr. Marco Bonacker
Ein Beitrag von Dr. Marco Bonacker, Katholischer Leiter der Abteilung Bildung und Kultur im Bischöflichen Generalvikariat Fulda
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Kaum ein Vorurteil hält sich so wacker wie die Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche. Vor allem die der katholischen Kirche. Hat sie nicht schon immer der Wissenschaft im Weg gestanden? Hat sie nicht Galilei verurteilt? Verweigert sie sich nicht auch heute noch den neuesten Erkenntnissen der Natur- und Humanwissenschaften? Ja, hat sie in ihrer Geschichte nicht sogar die Idee von der Kugelgestalt der Erde verworfen? Gerade Letzteres steht beispielhaft für die Idee einer Kirche, die nun wirklich kein wissenschaftliches Fettnäpfchen ausgelassen hat und nun absolut das Gegenteil von fortschrittsorientiert ist.

Bildung und Wissenschaft gehören zur Kirche

Nun, man könnte zusammenfassend und in aller Kürze antworten: Nein, diese Vorurteile sind definitiv falsch und teilweise sogar einer regelrechten antikirchlichen Propaganda geschuldet. Viele Vorurteile verkehren sich bei genauem Hinsehen sogar in ihr Gegenteil. Man kann ohne Übertreibung sagen: Bildung und Wissenschaft gehören zur Kernkompetenz der Kirche: Katholische Schulen und Universitäten in ganz Europa und seit der Neuzeit in der ganzen Welt künden von einem breiten und steten Interesse an Wissenschaft und Bildung. Weder war das Mittelalter einfach dunkel noch die Kirche ein Ort des Unwissens. Vielmehr sind wesentliche Entwicklungen der wissenschaftlichen Methode im Raum kirchlicher Einrichtungen entwickelt worden. Selbst die Urknalltheorie geht zurück auf den Physiker und Priester George Lemaitre, der mit Einstein in engem Kontakt stand. Über die Jahrhunderte also ist die Förderung der Wissenschaft kirchlicher Grundtenor.

Die Erde ist nicht flach

An dieser Stelle will ich auch gerne noch mit dem Vorurteil aufräumen, das ach so dunkle Mittelalter und allen voran die Kirche sei der generellen Überzeugung gewesen, die Erde sei flach. Das passt gerade heute so gut, weil katholische Christen dem Heiligen Virgil von Salzburg gedenken. Ein Gelehrter seiner Zeit ersten Ranges und ein Verfechter der Kugelgestalt der Erde. Geboren um 700 in Irland wirkte er vornehmlich im bayrischen Raum und war eben auch Bischof von Salzburg. Nicht nur seine theologischen Werke, sondern gerade seine mathematischen und astronomischen Veröffentlichungen darf man hervorheben. Er vertrat die Kugelgestalt der Erde, so wie der Hauptstrom der antiken und christlich-mittelalterlichen Autoren seit Aristoteles. Die wenigen Gegenmeinungen werden zwar gerne ins Feld geführt, bleiben aber Randnotizen in einem breiten wissenschaftlichen und christlichen Konsens über die Jahrhunderte. Papst Zacharias, ein Zeitgenosse von Virgil, stand auch auf seiner Seite. Ebenso vertraten die Kugelgestalt der Erde Isidor von Sevilla, Augustinus, Beda Venerabilis, Rabanus Maurus, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Hildegard von Bingen und viele mehr.

Synthese von Glauben und Vernunft

Aber wieso, wenn doch die Faktenlage so klar ist, hält sich das Vorurteil der wissenschaftsfeindlichen Kirche so hartnäckig. Nun, Aufklärung und Neuzeit wollten sich gezielt auch vom sogenannten Mittelalter abheben. Eine Abwertung, um sich selbst aufzuwerten. Verständlich, aber eben falsch. „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, lautet die Losung der Aufklärung seit Kant. Das bleibt auch heute unsere Aufgabe. Der heilige Virgil jedenfalls hat das schon damals getan und verband den Glauben mit der Vernunft bereits im 8. Jahrhundert meisterhaft miteinander. So widerlegt er eindrucksvoll die lächerliche These vom dunklen, unwissenden Mittelalter. So bin ich immer wieder erstaunt, welche bisherigen Gewissheiten sich auflösen, wenn ich näher hinschaue und mich nicht von Vorurteilen leiten lasse. So stellt sich die Wissenstradition der Kirche doch etwas differenzierter dar, als viele es glauben machen wollen. Sicher hat sie auch nicht alles richtig gemacht, aber Ausdifferenzierung muss sein, um nicht die breiten Vorurteile irgendwann selbst zu glauben. Und so lässt es sich auch leichter an diese Bildungstradition anknüpfen, um sie in die Zukunft zu führen – im Sinne der Synthese von Glauben und Vernunft.

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