Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Das Gipfelkreuz
Pixabay/Gitti Lohr

Das Gipfelkreuz

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
Beitrag anhören:

Seit einigen Jahren fahre ich zum Urlaub gerne in ein kleines Dorf in den Alpen. Es ist für mich eine Zuflucht, dort kann ich zur Ruhe kommen. Mit der Zeit sind auch Freundschaften gewachsen. Einer dieser Freunde hat mich jetzt mit einer Bitte überrascht. Vor einiger Zeit ist sein Bruder gestorben. Zur Erinnerung an ihn hat er auf einem Berg, der an das Dorf grenzt, ein Gipfelkreuz errichten lassen. Nur eines fehlt noch, denn das Kreuz ist noch nicht geweiht.

Dem Gipfelkreuz ist es egal, ob es evangelisch oder katholisch geweiht wird

Deshalb sprach er mich an, ich sei doch auch Pfarrer. Ob evangelisch oder katholisch, dem Gipfelkreuz sei das ziemlich egal, Hauptsache es wird endlich geweiht. Und weil die katholischen Pfarrer dort für so viele Dörfer zuständig sind, finden sie eben nicht die Zeit dazu. Immerhin muss man ja erstmal rauf auf den Berg, und das kostet schon mal einen ganzen Tag.

In der evangelischen Kirche ist es nicht üblich Orte oder Gegenstände zu weihen

Im ersten Moment war ich über die Anfrage erstaunt. In der evangelischen Kirche ist es nicht üblich, Orte oder Gegenstände zu weihen. Es gibt Segensgebete, wenn ein neues Haus oder Feuerwehrauto eingeweiht wird. Da geht es um die Menschen, für die das Haus oder das Fahrzeug zum Segen dienen soll. Aber eine Weihe, durch die ein Ort zu einem heiligen Ort erklärt wird, gibt es in der evangelischen Kirche in dieser Weise nicht. Und auch mit Gipfelkreuzen habe ich in meinem Berufsalltag noch nie zu tun gehabt.

Einem Menschen ein Andenken setzten, nicht nur auf dem Friedhof

Aber nach der ersten Verblüffung gefällt mir der Gedanke. Und zwar aus verschiedenen Gründen: Zunächst einmal habe ich Respekt davor, wenn einem gestorbenen Menschen ein Andenken gesetzt wird. Nicht nur auf dem Friedhof, sondern auch in der Natur, dort, wo ich gerne hingehe, wo ich zur Ruhe komme und über Gott und die Welt nachdenken kann.

Ein Gipfelkreuz - ein Symbol zum Innehalten

Und das ist der zweite Grund, warum ich ein Gipfelkreuz schön finde: Nach langer Wanderung kommt man erschöpft endlich am Gipfel an. Da oben geht es nicht mehr weiter, kein Strauch, kein Baum, über dem Kopf nur noch der weite Himmel. Deshalb finde ich es wohltuend, wenn da ein Kreuz steht. Ein willkommenes Symbol zum Innehalten. Es erinnert mich an die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Das sind zwei Richtungen des Lebens: Der Blick nach oben und der Blick nach unten ins Tal. Ich hoffe auf himmlische Kraft von oben für meinen irdischen Alltag da unten. Leben ist immer beides zugleich: Die Sorge um die Welt, wie sie nun einmal ist, und ein Träumen davon, wie sie sein könnte.

Auf einem Berggipfel genieße ich die Höhe und Weite. Aber dann, nach dem Aufstieg, muss ich wieder nach unten. Eine Binsenweisheit, das Leben geht nicht immer aufwärts. Aber hier wird es ganz real. Ich muss aus eigenen Kräften wieder runterkommen.

Ein Segen für alle, die diesen Ort besuchen

Beim nächsten Urlaub werde ich mich gerne auf den Weg zum Gipfel machen, um das Kreuz meines Freundes zu segnen. Das ist dann ein Segen für ihn mit der Erinnerung an seinen verstorbenen Bruder. Es ist zugleich ein Segen für alle Menschen, die an diesen Ort kommen.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren