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Was bleibt
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Was bleibt

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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Ich habe mein letztes Elternteil verloren.

Fast zehn Jahre war meine Mutter im Seniorenheim. Zunächst noch mit relativ viel Energie. Mit ihrem Wissen punktete sie bei Ratespielen der Beschäftigungstherapie. Auch mit ihrem Rollator hat sie sich angefreundet. Nach einiger Zeit genierte sie sich nicht mehr ihn zu benutzen. Mit seiner Hilfe ging sie in den naheliegenden Supermarkt zum Einkaufen. Eingekauft hat meine Mutter schon immer gern. Nur der Berg zum Seniorenheim zurück war eine Herausforderung. Besonders gern war sie für die da, die schwach wirkten. Helfen zu können, hat ihr Sinn und Stärke gegeben.

Abschied von der Mutter

Körperlich und geistig baute sie über die Jahre ab. Am Ende war nur noch ein kleiner Körper da, der lange am Leben bleiben wollte. Das mit anzusehen, hat mich traurig gemacht. Ich habe meine Mutter all die Jahre begleitet und den Abschied intensiv miterlebt. Wir haben unendlich viele Lieder gesungen, an die sie sich bis zuletzt erinnern konnte. Und wir haben gebetet. Immer wieder den 23. Psalm. Meine Mutter hat oft von ihrer Mutter gesprochen, die schon 60 Jahre tot ist, und von anderen Menschen, die ihr viel bedeuteten. Sie hatte das Gefühl, von den Lebenden und den Verstorbenen umgeben zu sein. Es schien gar nicht schlimm, dass sie real nicht mehr da waren.

Ein biblisches Bild, das tröstet

Die Verbindung war trotzdem intensiv und brauchte Zeit. Das hat mich an das Bibelwort von Johannes erinnert: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“ (Johannes 14,2) Ein schönes Bild dafür, dass wir alle in einem Haus geborgen sind und doch wie durch unsichtbare Mauern in verschiedenen Wohnungen getrennt.
Am Ende hatte meine Mutter keine Kraft mehr. Ich habe ihr noch einmal sagen können: „Du hast doch viel geschafft! Viel Gutes. Wir, deine Kinder, verdanken dir viel. Du hast Dich oft sehr anstrengen und kämpfen müssen. Jetzt kannst Du loslassen.“ Ich habe ihre Hand freigegeben und sie noch ausgestrichen.
Kurz danach war sie tot. Ein besonderer Moment.

Die letzte Zeit war hart

Ich habe viel regeln müssen. Die Beerdigung, der Kontakt zu den Menschen, die sie kannten. Das Zimmer ausräumen. Die wenigen Habseligkeiten aufteilen. Viel habe ich nicht empfinden können. Es war mir nicht zum Weinen zu Mute. Ich habe funktioniert.
Wie oft hatte ich mir in den letzten Jahren diese Zeit des Abschieds vorgestellt. Manchmal intensiv herbeigewünscht, weil mir die Kraft ausging.
Kürzlich war ich vorerst zum letzten Mal im Seniorenheim, um mich auch dort zu verabschieden und zu bedanken.

Nun aufgehoben in Gottes Haus

Seltsam, mir ging fast die Puste aus, als ich die Treppen hochgestiegen bin. Dieser Gang fiel mir unendlich schwer.

Der Abschied hat es in sich. Aber ich habe nicht das Gefühl, meine Mutter wirklich verloren zu haben. Ich vertraue darauf: Sie lebt in einer anderen Wohnung in Gottes Haus.

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