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Aufklärung – und Kaltes Licht
Bild: Felix Mittermeier/Pixabay

Aufklärung – und Kaltes Licht

Karl Waldeck
Ein Beitrag von Karl Waldeck, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Die Tage werden nun wieder länger, kein Zweifel. Es wird morgens früher hell. Das Licht gewinnt in diesen Tagen schnell gegenüber der Dunkelheit die Oberhand.

Licht ist ein Phänomen der Natur. Ohne Licht gibt es kein Leben – weder von Pflanze, Tier und Mensch.

Redewendungen mit Licht

Was den Menschen betrifft, so haben das Licht und verwandte Begriffe in viele Redewendungen Einzug gehalten, bei denen es um das menschliche Bewusstsein geht, ums Denken und den Verstand. Wir sagen: Jemand ist "hellsichtig", "klar im Kopf", sie hat einen "Gedankenblitz" – und von manchen heißt es sogar, sie seien "erleuchtet". 

Goethe bittet auf dem Sterbebett um mehr Licht

Von Goethe wird berichtet, er habe auf seinem Sterbebett um "Mehr Licht" gebeten. Das mag nun auch den Umständen seiner letzten Stunde, dem Übergang vom irdischen Leben in ein anderes, geschuldet sein. Goethe lebte auf jeden Fall in einer Zeit, in der das Licht der Vernunft einen wichtigen Platz einnahm. Es war die Zeit der "Aufklärung".

Die Aufklärung fordert auch mehr Licht

Die Aufklärung und mit ihr die moderne Naturwissenschaft hatten das Anliegen, Licht bis in die letzten dunklen Flecken der Welt und des Lebens zu bringen – bis heute. Selbst das Wort "Aufklärung" hat mit Licht zu tun: Es klart auf, sagen wir, wenn die Wolken am Himmel verschwinden. In anderen Sprachen wird der Bezug von Aufklärung zum Licht noch deutlicher: Von "Enlightenment" spricht man im Englischen, wenn die Aufklärung gemeint ist, im Französischen von "Lumières", was nichts anderes als "Licht" heißt.

Die Aufklärung ist ein aktuelles Programm geblieben. Denn Unaufgeklärtes, Versuche, die Wirklichkeit zu verschleiern, gibt es in unserer Welt genug, auch Dunkelmänner und -frauen – nicht erst in Zeiten der Pandemie. "Mehr Licht" – ist also auch für das Jahr 2022 eine gute, berechtigte Forderung!

Alles im Leben ausleuchten zu wollen, ist unbarmherzig

Es gibt allerdings auch ein kaltes Licht, sowohl im Denken wie in der Wissenschaft, das dem Menschen als Ganzem nicht gerecht wird. Zum einen lässt sich der Mensch und was ihn ausmacht, nicht allein im Licht der Rationalität beschreiben. Zum anderen kann es ein berechtigter Schutz sein, dass nicht alle Dinge unseres Lebens ans Licht gezogen werden. Alles im Leben ausleuchten zu wollen, ist unbarmherzig; den völlig durchleuchteten, den gläsernen Menschen haben zu wollen, ist letztlich potenziell diktatorisch. Das erinnert an eine Gefängniszelle, in der das Licht nie ausgeht.

Auch beim Licht kommt es auf das rechte Maß an

Selbst im Alltag und der Natur kann uns ein Zuviel an Licht zu schaffen machen: nicht nur bei einem Sonnenbrand, sondern auch durch die Technik: durch Lichtverschmutzung, wenn man keinen Stern am Himmel mehr sehen.

Es kommt auch bei der Forderung nach "Mehr Licht!" auf das rechte Maß an. Ich wünsche mir einen reflektierten Umgang mit dem Licht. Ich wünsche mir einen Blick auf die Welt im Licht der Liebe, auch, wenn es um die dunklen Seiten des Lebens geht. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!

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