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Wasser des Lebens
Martin Vorländer

Wasser des Lebens

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Sprecherin: Nicole Abraham

Die Wanderung dauert länger als gedacht, und die Sonne brennt heißer vom Himmel als erwartet. Ich habe zu wenig Wasser mitgenommen. Nach ein paar Stunden klebt die Zunge am trockenen Gaumen. Wie lange könnte ich das jetzt noch aushalten?

Dann ist die Wasserquelle endlich erreicht. Wie köstlich schmeckt jetzt der erste Schluck. Er rinnt in den Körper, ist überall zu spüren und erfrischt, erleichtert, stärkt. Dazu passt ein Satz der Bibel. Er drückt dieses starke Verlangen aus und denkt einen Schritt weiter.

"Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele zu dir, Gott." (Psalm 42)

Durst nach Gott

Durst ist in diesem Vers nicht nur ein körperliches Verlangen, sondern beschreibt auch ein geistliches: die elementare Sehnsucht nach Leben, nach Gott.

Wer nicht an Gott glaubt, wird darüber vermutlich nur den Kopf schütteln. Aber auch die, die nicht glauben, kennen das Gefühl einer tiefen Abhängigkeit. Man gibt sich nicht selbst sein Leben und man schafft sich auch nicht selbst die Ressourcen dafür, zum Beispiel Wasser. Man nimmt von dem, was da ist, und macht etwas daraus.

Für alles Leben gibt es einen Ursprung, eine Quelle. Für gläubige Menschen ist dies Gott. Und den Wunsch nach Gottes Nähe nennen sie Glauben. Wie sich das anfühlt, ist nicht leicht zu beschreiben.

Wenn die Seele ausgelaugt ist

Der Psalm versucht es mit dem Bild vom schreienden Hirsch, eigentlich ein starkes Tier, aber dennoch verletzlich und bedürftig nach Wasser und anderem. So kann auch die Seele dürsten – nach Gott. Wenn einen das Leben ausgelaugt hat – zu dürr, zu anstrengend. Wenn du innerlich ausgebrannt bis, dann, so sagt es der Psalm, kann Gott sein wie frisches Wasser für die Durstigen.

Alles Leben braucht Wasser, es ist das Element des Lebens schlechthin. Deshalb ist Wasser auch das Element der christlichen Taufe. Im Plätschern des Taufwassers wird Gottes elementare Zusage sichtbar, hörbar und fühlbar. Der Pfarrer oder die Pfarrerin spricht sie aus: "Fürchte dich nicht. Verzage nicht. Ich bin bei dir – alle Tage." (Jesaja 41) Diese Zusage kann zu einer Kraftquelle werden, wenn man sich ihrer bedient.

Der Mensch, das Wasserwesen

Das Wasser will ich heute Morgen feiern. Und damit auch Gott – und mich selbst. Denn mein Körper besteht, wie bei allen Menschen, zu etwa 70 Prozent aus Wasser. Schon wenn 0,5 Prozent davon weggeschwitzt sind, spürt man den Durst.

Wenn fünf Prozent fehlen, beginnt der Körper bereits zu fiebern. Kommt der Wasserverlust an die 15 Prozent heran, tritt der Tod ein. Ohne Wasser kein Leben. Das spürt man jetzt im Sommer besonders, in einem Jahr mit wenig Regen und viel Hitze, mit trockenen Böden und wenig Wasser in den Flüssen.

Wasser kann töten

Wasser bringt aber nicht nur Leben. Es kann auch töten, wenn es seine furchtbare Macht entfaltet. Vor gut einem Jahr haben wir es im eigenen Land erlebt: Im Ahrtal und anderorts floss ein Starkregen zu einer tosenden Masse zusammen. Sie riss alles mit sich, was im Weg stand: Bäume, Autos, Brücken, Häuser, Menschen.

Biblische Bilder kommen in den Kopf. So wird es bei der Sintflut zugegangen sein. Als ein 40-tägiger Regen zunächst die Täler füllte und dann alles Land und Leben unter sich begrub. Bis heute spricht man von sintflutartigem Regen, wenn es anhaltend schüttet. Eine heikle Sprachwendung. Denn die Bibel deutet die Sintflut als Strafe Gottes für falsches Leben.

Naturkatastrophen

Deshalb möchte ich dieses Sprachbild abschütteln, wenn ich an die überfluteten Regionen denke. Das sind dochNaturkatastrophen, keine Strafen. Aber ich weiß auch, ein Teil der Naturkatastrophen ist menschengemacht. Jedenfalls erinnern solche sintflutartigen Regenfälle daran, wie stark die Natur ist. Und dass ich besser mit Gott rechne. Dann kann ich mich an das halten, was Gott am Ende der Sintflut sagt:

"Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen, um der Menschen willen, denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf (…) So lange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht." (1. Mose 8)

Musik: Fasil Say, Tigris River

Wasser als politisches Instrument

Auf der Höhe von Ramallah, der palästinensischen Hauptstadt, hat man einen schönen Blick über die gebirgige Landschaft des Westjordan-Landes. Man sieht oben auf den Höhen istaelische Siedlungen und unten im Tal die palästinensischen Dörfer. Woran kann man sie unterscheiden?

In den Dörfern stehen große, schwarze Tonnen auf den Dächern - Wasserspeicher. Die Häuser der israelischen Siedlerinnen und Siedler haben keine. Brauchen sie auch nicht, denn bei ihnen kommt immer frisches Wasser aus der Leitung. In den palästinensischen Dörfern nur tageweise. Man sollte meinen, das Wasser fließe im Tal, doch es fließt auf den Höhen. Dort wird es kontrolliert und zugeteilt. Wasser ist auch ein politisches Instrument, insbesondere dort, wo es knapp ist.

Wasser und der Ukraine-Krieg

Selbst im Ukraine-Krieg dürfte der Kampf um das Wasser eine Rolle spielen, denn die Halbinsel Krim ist trocken und benötigt Wasser von außen. Doch das haben die Ukrainer abgestellt, nachdem die russische Armee die Krim besetzt hat. Nun soll der Zugang zum Wasser freigekämpft werden.

Zum Glück gibt es um das Wasser nicht nur Konflikte oder gar Kriege, sondern auch Einsicht. Viele Länder liegen an Flüssen, die Grenzen überschreiten. Sie haben Verträge geschlossen, wie sie das das knappe Wasser nach Bedarf verteilen. Das klappt an vielen Stellen auf der Welt ganz gut. Im Geiste gegenseitigen Respekts.

Nur drei Prozent Süßwasser auf der Erde

Wasser ist nicht im Allgemeinen knapp. In den Meeren gibt es Salzwasser in Hülle und Fülle. Aber nur drei Prozent des Wassers auf der Erde sind Süßwasser. Und davon befinden sich zwei Prozent als Gletscher un Eis an den Polen und in den Gebirgen.

Alles Leben auf den Kontinenten der Erde lebt also von dem einen Prozent Süßwasser, das zirkuliert: Es regnet vom Himmel, verdunstet oder versickert ins Grundwasser, tritt in Bächen und Flüsse zutage, fließt ins Meer und verdunstet um wieder Regen zu werden.

Dieser Kreislauf funktioniert ziemlich verlässlich, aber er verteilt das Wasser ungleich. Wasser verweist somit auch auf die unheile Welt mit ihren Verteilungskämpfen und Machtkämpfen.

Taufwasser

Das Wasser der Taufe setzt einen Gegenakzent. Es macht in gewisser Weise alle gleich. In der Taufe werden alle Menschen gleichermaßen zu Kindern Gottes. Dafür ist das Wasser ein gutes Symbol, denn es ist eigentlich ein ausgleichendes Element. Wenn man das Wasser lässt, fließt es so lange, bis es sich gleichmäßig verteilt hat. Bei Gott sind alle Menschen gleich viel wert.

Musik: Wasserquell (Kinderchor, Leidenberger)

Ich drehe den Wasserhahn auf und halte meine Hände darunter. Sie sind verschwitzt und verdreckt. Ich staune, wie das Wasser allen Dreck mitnimmt. Wasser ist das Element der Reinigung. Nicht nur der äußerlichen, sondern auch der innerlichen.

Reinigungsrituale

Zu vielen Religionen gehören Reinigungsrituale mit Wasser. In der jüdischen Tradition baden Menschen zu bestimmten Anlässen in einer Mikwe, einem Tauchbad. Vor jeder Moschee steht ein Brunnen, an dem sich Gläubige zunächst waschen. Damit bereiten sie sich auch innerlich vor, um in der Synagoge oder der Moschee vor Gott zu treten. Auch zur christlichen Taufe gehört der Aspekt der Reinigung, mit dem man sich für Gott symbolisch bereit macht.

Kein anderer natürlicher Stoff auf der Erde kann so gut Partikel aufnehmen wie Wasser. Weil das so ist, kommt zumindest in der Natur reines Wasser gar nicht vor. Es führt immer noch andere Mikrostoffe mit sich, die es irgendwo aufgenommen hat. Jeder Tropfen Wasser ist deshalb bei genauerem Hinsehen einzigartig.

Das Wasser nimmt alles auf - auch Schadstoffe

Die Fähigkeit des Wassers, alles Mögliche mitzunehmen, hat aber eine Kehrseite. Es nimmt eben auch Schadstoffe und gefährliche Substanzen mit. Diese lagern sich irgendwo ab. Wo das Wasser verdunstet oder versickert, lässt es seine Fracht zurück.

Damit haben viele zu kämpfen, auch die Landwirte. Wenn sie ihre Felder bewässern, tragen sie immer kleinste Mengen an Salz ein, das eben auch im Süßwasser enthalten ist. Deshalb muss man mit dem Bewässern sparsam umgehen. Man kann aus Wüsten auf Dauer keine Gemüseplantagen machen. Die Böden versalzen allmählich.

Menschenrecht auf sauberes Wasser

Etwa 800 Millionen Menschen auf der Welt haben im Umkreis von einer halben Stunde keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Wassermangel tötet schnell, dreckiges Wasser langsam. Deshalb kämpft die UNO für das Menschenrecht, bis 2030 allen Menschen genügend sauberes Wasser zugänglich zu machen.

Auch darauf macht das Wasser der Taufe aufmerksam: auf gefährdetes Leben, auf Ungerechtigkeit. Und auf den Anspruch, dass alle Menschen sauberes Wasser haben sollten.

Weltwasserpolitik

Damit das Wasser nicht zu knapp wird und zu sehr verschmutzt, muss sich die Menschheit darum kümmern. Schon um ihrer selbst willen, aber auch um das Leben auf der Erde generell zu schützen. Der Klimaforscher Dieter Gerten spricht von einer Wasserkrise. Er sagt: Die Vorstellung vom natürlichen Wasserkreislauf ist veraltet.

Zum einen hängt der globale Wasserkreislauf mit dem Klima und vielem anderen zusammen. Zum zweiten hat die Menschheit in diese Systeme schon so tief eingegriffen, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr funktionieren. Die Menschen müssen also lernen, die Systeme selbst zu steuern.

Dazu gehört eine Weltwasserpolitik. Viele sind schon auf einem richtigen Weg, lobt Dieter Gerten. An vielen Stellen beobachtet er, dass Menschen mit dem knappen Wasser inzwischen viel sorgsamer umgehen.

Achtung vor dem Urstoff des Lebens

Dem Wasser- und Klimaforscher Gerken geht es um eine Haltung. Wasser darf nicht nur als chemische Substanz angesehen werden, die man sich für irgendetwas zunutze macht. Er spricht von Achtung vor dem Wasser als dem Urstoff des Lebens.

Wasser muss den Status eines Kulturgutes bekommen und als Allgemeingut angesehen werden. Aber eben keines, das alle ausbeuten, weil es ja niemandem gehört. Sondern ein Allgemeingut, das alle achten, weil es ihnen gehört – und weil es alle zum Leben brauchen.

Hier sieht der Klima- Wasserforscher Dieter Gerten auch die Kirchen in der Pflicht. Sie können zu diesem Bewusstseinswandel beitragen, indem sie die Achtung vor der Schöpfung und vor den Mitmenschen in die Gesellschaft eintragen. Und indem sie für eine friedliche Lösung von Konflikten eintreten.

Musik: Mendelssohn-Bartholdy, Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser

Weiße Tupfen, soweit das Auge reicht. Es sind reife Baumwollkapseln voller weißer Samen-Haare. Sie wachsen auf einem riesigen Feld in der Türkei. Davon gibt es dort viele. Sie sind von künstlichen Wasserrinnen durchzogen.

2.700 Liter Wasser für ein T-Shirt

Denn Baumwolle benötigt viel Wasser. Wo kommt es her in dieser wasserarmen, heißen und staubigen Gegend? Irgendwo wird es abgezwackt und fehlt dann dort. Mit der Ernte der Baumwolle wandert auch das verwendete Wasser ab. Meist gen Europa, wo die Baumwolle als T-Shirt oder Jeans ankommt. Für die Produktion eines T-Shirts werden 2.700 Liter Wasser verbraucht.

Das wäre nicht schlimm, wenn es da, wo die Baumwolle wächst, genügend Wasser gäbe. Das ist zum Beispiel in Usbekistan der Fall. Dort lässt sich Baumwolle also besser anbauen und in andere Länder exportieren.

Wasser-Fußabdruck

Dieser Wassertransfer müsste irgendwo zu Buche schlagen und gesteuert werden. Die Menschen müssen wissen, was sie an Wasser verbrauchen. Erst dann werden sie ihren Verbrauch regulieren. Das sagt der Klima- Wasserforscher Dieter Gerten und schlägt einen persönlichen Wasser-Fußabdruck vor. Er wäre ein Teil des ökologischen Fußabdrucks, mit dem die eigene Umweltbilanz dargestellt wird.

Jeder Mensch in Deutschland verbraucht pro Tag durchschnittlich 120 Liter Wasser. Das klingt schon viel und ist doch nur der kleinere Teil der Wahrheit. Denn Wasser wird auch für die Produktion von Kleidung, Essen und anderen Verbrauchsgütern benötigt.

Rechnet man das mit ein, verbraucht jeder Mensch in Deutschland pro Tag 4000 Liter. Ein großer Sprung, weil eben die Produktion der Güter so viel Wasser benötigt. Für die Produktion von einen Kilo Rindfleisch sind es 15.000 Liter. So versteht man schnell: Bei Wasser-intensiven Produkten sollte man zurückhaltend sein.

Auch hier gibt mir die Taufe ein Signal. In der Taufe empfange ich nicht nur den Zuspruch: "Fürchte dich nicht. Verzage nicht. Ich bin bei dir – alle Tage." Die Taufe nimmt mich auch hinein in die Verantwortung für die Welt. Ich werde zu einem Mitarbeiter Gottes für die Bewahrung der Schöpfung, für Gerechtigkeit und Frieden.

Musik: Mendelssohn-Bartholdy, Was betrübst du dich meine Seele aus "Wie der Hirsch schreit"

Eine staubige Hügellandschaft, dünn besiedelt, karge Vegetation, wenig Wasser. An einer Stelle befindet sich ein Brunnen. Er ist tief. Weit muss der Eimer in die Erde sinken, um an das Wasser zu kommen.

Auf diese mühsame Art schöpft eine Frau gerade Wasser. Jesus kommt dazu, durstig vom langen Weg vom Süden in den Norden Israels. Er bittet die Frau um Wasser. Ein Gespräch ergibt sich. Jesus verspricht der Frau "lebendiges Wasser". Was er damit meint, drückt er so aus:

"Wer vom Wasser aus diesem Brunnen trinkt, der wird wieder durstig. Wer aber von dem Wasser trinkt, dass ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt." (Johannes 4)

Wasser, das nie ausgeht?

Ein geheimnisvolles Wort. Wasser, das nie ausgeht? Nie wieder Durst? Nie wieder Mangel? Nie wieder Verteilungskämpfe um das knappe Wasser? Ist das ein Blick in das schöne, ewige Leben bei Gott, in dem alle irdischen Probleme verflogen sind? Oder ist das eine Ansage, wie Menschen die Welt gestalten sollen?

Das bleibt offen. Dennoch spricht und spornt mich dieses kleine Gespräch an. Es hält in mir die Sehnsucht wach: genug für alle, sorgsam gehütet, gerecht verteilt. Das ist derzeit in vielen Regionen der Welt nur Utopie, aber sie gibt immerhin die Richtung an, in die es gehen muss.

Bedarf der Seele

Jesus spielt mit seinem Wort vom lebendigen Wasser nicht nur auf das plätschernde Nass an, das alles Leben auf der Erde so dringend braucht. Er denkt es einen Schritt weiter. Als Symbol für einen Bedarf der Seele. Der Bedarf nach Liebe. Davon schenkt Gott immer neu aus, so dass sie eigentlich nie ausgeht.

Manche meinen allerdings, Gottes Liebe müsse ihnen ein Schlaraffenland erschaffen, wo stets alles im Überfluss zur Verfügung steht. Wer so denkt, wird enttäuscht. Zum Glauben gehören Durststrecken und Mangel, Mangel an Hoffnung und Zuversicht. Dennoch geht eines nie verloren - diese Zusage, die in der Taufe mit Wasser besiegelt wird: "Fürchte dich nicht. Verzage nicht. Ich bin bei dir – alle Tage."

Musik: Robert Schumann, Sinfonie Nr. 3 "Die Rheinische", 3. Satz

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