Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Die Schönschrift Gottes
Pixabay/Henryk Niestrój

Die Schönschrift Gottes

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
Beitrag anhören:

Der Dichter und Theologe Ernesto Cardenal hat einmal gesagt: „Die ganze Schöpfung ist die Schönschrift Gottes!“ Mir gefällt dieser Satz aus zwei Gründen: zum einen wegen der Schönheit der Schöpfung: Ein sich aufrollender Farn, eine flirrende Lichtspiegelung, die verknorzte Rinde eines alten Baumes, darin liegt vollendete Harmonie. Und zweitens gefällt mir, dass Ernesto Cardenal die ganze Schöpfung die „Schönschrift Gottes“ nennt.

Kalligrafie, die Kunst des Schönschreibens

Mit Schönschrift kenne ich mich aus. Die Kalligrafie, die Kunst des schönen Schreibens, ist mein Hobby seit vielen Jahren. Wer Kalligrafie betreibt, weiß: Buchstaben sind wie ein sich aufrollender Farn. Ein Schriftbild kann flirren wie das Licht. Und alte Schriften wirken wie verknorzte Bäume.

Die Erfindung der Schrift ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation

Die Kunst des Schreibens ist alt. Sie hat etwas mit Recht und Gerechtigkeit zu tun. Die ältesten Schriftzeugnisse sind Verträge und Absprachen. Die Erfindung der Schrift gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation. Sie ermöglichte, Wissen und kulturelle Traditionen zuverlässig über Generationen hinweg zu erhalten.

Im Kleinen das große Ganze entdecken

Mir gefallen einfach die Buchstaben. Lateinische, griechische, kyrillische, hebräische, Sankrit… Der Offenbacher Kalligraf Karl Georg Höfer gab denen, die eine Schrift lernen wollten, den Tipp: „Schreib sie zwei Kilometer, dann hast du vielleicht eine Ahnung, wie sie ist.“ Im Kleinen das große Ganze entdecken und durchdringen, das passiert beim Schreiben. Kopf und Hand sind beteiligt, und wie ich den Buchstaben O aufs Papier bringe, sagt etwas darüber, wie ich Dinge sehe.

Buchstabenformen transportieren Botschaften

 Als Westeuropäerin sehe ich beim Schreiben des Buchstabens O die Linie vor mir, die ich mit der Feder zu einem vollendeten Kreis ziehen will. In China sieht eine Schreiberin die leere runde Fläche im O und umrundet diese mit ihrem Pinsel. Und Buchstabenformen transportieren Botschaften. Übelstes Beispiel: die zackigen blitzartigen SS Zeichen der Nazis. Zwei Buchstaben, die in ihrer Form das Fürchten lehrten.

"Die ganze Schöpfung ist die Schönschrift Gottes"

Im Kalligrafiekurs tauche ich mit dem Schreiben einer alten Schrift auch ein in die Geschichte. Gedenke der Mönche und Nonnen im Mittelalter, die ihren Buckel in Schreibstuben krumm gemacht haben, damit das Lob Gottes schön aussieht.

Denn ja: wir brauchen Schönheit. Sie lässt uns staunen. Und ehrfürchtig werden. Das macht unser Denken weit und verbindet miteinander. Lässt uns erkennen, wir sind Teil eines großen Ganzen. „Die ganze Schöpfung ist die Schönschrift Gottes“.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren