Guck mal, wer da fliegt
Mit seinen langen Beinen und seinem langen Hals würde mir ein Kranich bis zur Brust reichen. Wenn er die Flügel ausbreitet, hat er eine Spannweite von über zwei Metern. Er gehört zu den größten Vögeln. Kein Wunder, dass der Kranich die Menschen schon immer fasziniert hat. Erst recht jetzt im Herbst, wenn sich die Kraniche zu Tausenden auf den Weg machen und in den Süden fliegen. Jeder Schwarm bildet am Himmel einen Keil als Flugformation. Das reduziert den Luftwiderstand. Jeder kann mal im Windschatten des anderen fliegen, und die Vögel bleiben in Ruf- und Sichtweite zueinander. Jeder hat seinen Platz. Zusammen haben sie ein Ziel.
Der Kranich steht deshalb nicht nur für die Sehnsucht nach Weite und Erhabenheit. Für den Propheten Jeremia in der Bibel zeigen die Kraniche auch, wie man gut und gerecht zusammenleben kann. (Jeremia 8,7) Eben so, dass jeder seinen Platz findet und man gleichzeitig ein gemeinsames Ziel hat. Die Stärkeren geben den Schwächeren Windschatten, damit niemand verloren geht und alle mitkommen. Der Prophet Jeremia sagt zu seinen Leuten damals: „Schaut die Zugvögel am Himmel! Sie wissen, wann es Zeit ist aufzubrechen. Sie kennen den Rhythmus des Lebens.“ Und dann schimpft der Prophet in der Bibel mit seinen Zeitgenossen: „Aber ihr achtet nicht aufeinander und wollt von Gerechtigkeit nichts wissen.“
Der Zug der Kraniche ist ein faszinierendes Bild am Himmel. Er sieht schön aus. Und er bringt mich zum Nachdenken: Wo habe ich meinen Platz? Mal weiter vorne in der Formation, mal weiter hinten. Mal gebe ich anderen Windschatten. Mal brauche ich selber eine Pause und darf im Windschatten der anderen segeln. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der jeder Mensch er selbst oder sie selbst sein kann und in der gleichzeitig alle zusammenhalten. Wir brauchen den Ausgleich zwischen Stärkeren und Schwächeren, damit niemand verloren geht und alle mitkommen. Wir brauchen keine Gesellschaft, die auseinander fliegt, wir brauchen Ruf- und Sichtweite zueinander.