Wer bist du?
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Wer bist du?

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen

Wenn Sie auf einem Seminar, oder beruflich mit einer fremden Gruppe zusammenkommen, kennen Sie das. Sie haben gerade einen Platz gesucht und sind noch voll und ganz damit beschäftigt, sich zu orientieren und das Schreibzeug aus der Tasche zu kramen, da sagt der Moderator:

„Ich bin Heinz Lilienthal und leite diese Zusammenkunft. Stellen Sie sich doch bitte erst mal kurz vor…“
Der erste Teilnehmer links vorne fängt auf ein eindeutiges Handzeichen des Kursleiters an:
„Ich heiße Gernot Gern, bin 46 Jahre alt, arbeite als Entwicklungsingenieur, bin glücklich verheirateter Vater von vier Kindern, die fünf, sieben, neun und dreizehn Jahre alt sind. Die älteste Tochter ist jetzt gerade in der Pubertät und macht uns viel Ärger. Wenn Sie noch Fragen haben, dann bitte, gerne.

Oft erlebe ich solche Vorstellungsrunden in beruflichen Zusammenhängen.

Der Ablauf ist jedes Mal ähnlich, obwohl es keine Vorgaben gibt, außer, dass die Vorstellung kurz sein soll. Da sagt einer seinen Namen, sein Alter, seinen beruflichen Hintergrund, dass er verheiratet ist und wie viele Kinder er hat.

Ich frage mich, sind das die Informationen, die für den dienstlichen Zusammenhang wichtig sind? Warum so viel Privates und so wenig Berufliches? Soll das als Türöffner für Kontaktgespräche dienen?

Mal ganz abgesehen von beruflichen Vorstellungsrunden, die oft monoton sind - ein bisschen neugierig bin ich schon. Mich interessiert, wie ein Mensch über sich selbst spricht und wie er sich beschreibt.

Aufschlussreich fand ich die Geschichte von Anthony de Mello, der von einer Frau erzählt, die im Koma lag. Plötzlich hatte sie das Gefühl, sie käme in den Himmel und stände vor Gott, dem höchsten Richter.

„Wer bist du?“ fragte eine Stimme.

„Ich bin die Frau des Bürgermeisters“, erwiderte sie.

„Ich habe nicht gefragt, wessen Ehefrau du bist, sondern wer du bist.“

Ich bin die Mutter von vier Kindern.“

„Ich habe nicht gefragt, wessen Mutter du bist, sondern wer du bist.“

„Ich bin Lehrerin.“

„Ich habe nicht nach deinem Beruf gefragt, sondern wer du bist.“

Und so ging es weiter. Alles was sie erwiderte, schien keine befriedigende Antwort auf die Frage zu sein: “Wer bist du?“

„Ich bin eine Christin.“

Ich fragte nicht, welcher Religion du angehörtest, sondern wer du bist.“

„Ich bin die, die jeden Tag in die Kirche ging und immer den Armen und Hilfsbedürftigen half.“

„Ich fragte nicht, was du tatest sondern wer du bist.“

Offensichtlich bestand sie die Prüfung nicht, denn sie wurde zurück auf die Erde geschickt. Als sie wieder gesund war, beschloss sie herauszufinden, wer sie war. Und darin lag der ganze Unterschied.

Ich glaube, wir sind nicht nur Personen, die unterschiedliche Rollen spielen, sondern da gibt es einen Kern in uns, der uns wirklich ausmacht. Diesem „Ich“ möchte ich treu sein bei allem, was tue.

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