Saubere Fassade?
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Saubere Fassade?

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Beim Gemeindefrühstück erzählt eine Frau begeistert von ihrer Italienreise mit der Familie meiner Tochter. Sie waren in Süditalien an der Amalfiküste. Der Besuch der kleinen Stadt Sorrent hatte es ihr besonders angetan, aber nicht wegen des Doms oder des Franziskanerklosters. Sie erzählt: „Wir hatten vierzehn Tage Sonne pur. Nur an dem Tag in Sorrent, da zog sich ganz plötzlich der Himmel zu und es begann unglaublich zu regnen. Kein Restaurant, kein Café, keine Kirche in der Nähe. Das Baby im Kinderwagen und der kleine Felix und wir Erwachsenen waren im Nu klatschnass. Da, eine Hauseinfahrt von einem schäbigen Haus und eine Frau, die gerade das Tor zuziehen will. Sie hat die Situation sofort begriffen und hat wild gestikuliert und uns in ihre Wohnung gebeten. Kurze Zeit später saßen wir alle mit unseren triefenden Sachen im Wohnzimmer in Decken gehüllt mit einem Kaffee in der Hand. Sie hat ununterbrochen geredet. Und wir auch. Aber wir haben uns natürlich nicht wirklich verstanden. So eine Gastfreundschaft habe ich noch nicht erlebt.“

Während die Frau erzählt, entstehen vor meinem inneren Auge sofort Bilder. Alte Fassaden etwas abseits vom Tourismus, bröckelnder Putz, Farbe, die schon abblättert, ein schiefer Fensterladen. Und auf dem Dach wächst irgendwo Unkraut heraus. Aber es herrscht immer ein reges Treiben. Es wimmelt von Kindern, Onkels und Tanten. Es ist laut. Bei uns ist das oft anders: Die Fassaden strahlen sauber. Alles ist renoviert. Kein Riss im Putz. Der Vorgarten ist ordentlich getrimmt. Da steckt viel Energie und Zeit drin. Ich finde es gut, dass es in Deutschland meistens sauber und ordentlich ist. Und ich bin auch ein bisschen stolz auf meinen Vorgarten.

Trotzdem freue ich mich, wenn ich unterwegs in der Stadt erlebe, wenn im Sommer zwischen den Häusern Leben ist. Mit vielen Generationen, mit lautem Gequatsche, wie eine große Grill-Party. Selbst wenn es da lauter und dreckiger ist, beneide ich das manchmal. Ich habe das Gefühl: Die Leute nehmen sich Zeit für das wirkliche Leben und können irgendwie mehr genießen als ich.

Pflicht und Ordnung und Fleiß, da ist nichts dagegen zu sagen. Sich absichern, seinen Besitz pflegen, das hat seinen Wert. Trotzdem merke ich, dass eine saubere Fassade nicht ausreicht, um meiner Seele etwas Gutes zu tun. Jesus sagt einmal: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und nimmt doch an seiner Seele Schaden?“ Jesus fragt mich damit: „Was ist dir wirklich wichtig?“

Heute jedenfalls nehme ich mir vor, mir ein bisschen mehr Lebensfreude zu gönnen und meine Seele zu pflegen. Ich will mich schon ganz lange endlich wieder mit meiner besten Freundin austauschen. Das geht leicht unter im Alltagstrott. Heute werde ich meine Freundin anrufen und länger mit ihr telefonieren. Sollen die Wäscheberge und die Steuererklärung mal liegen bleiben. Und das ungemähte Gras darf mich ruhig vorwurfsvoll angucken.

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