Schwierige Mahlgemeinschaft

Schwierige Mahlgemeinschaft

Ein Beitrag von Gisela Brackert, Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Reden wir heute, zu Beginn der kirchlichen Fastenzeit, übers Essen. Wie einfach war es doch vordem, seine Freunde und Freundinnen zum Essen einzuladen. Wir einigten uns auf den Termin und ich überlegte dann, was es zu essen geben sollte. Die Auswahl orientierte sich am Schwierigkeitsgrad, am zeitlichen Aufwand, gelegentlich auch an den Kosten. Aber im Großen und Ganzen bereitete das Kochen für Freunde kein großes Kopfzerbrechen.

Wie anders heute. Erfahrene Gastgeber füttern ihren Computer längst nicht nur mit den Gerichten, die ihre Freunde schon bei ihnen gegessen haben – es soll ja nicht wieder das gleiche geben wie beim letzten Mal. Sie listen vor allem auf, was ihre Freunde alles nicht essen wollen und nicht essen sollen: das heißt: welche Grundsatzentscheidungen zu berücksichtigen sind und welche Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten. Dies im Blick, kann die Mahlgemeinschaft mit einem größeren Freundeskreis ganz schön zum Problem werden!

Jens hat eine nachgewiesene Laktose-Intoleranz, Milch, Sahne, Käse sind also tabu. Christa und Walter ernähren sich nur noch vegetarisch, unseretwegen, sagen sie, muss kein Tier leiden. Iris berichtet von einer Fructose Unverträglichkeit, also bitte kein Obstsalat, und Ursula reagiert auf Histamine kritisch – in Rotwein enthalten, in Käse, in Schokolade, außerdem kann sie keinen Knoblauch vertragen. Karin gehört zur großen Gemeinde der Gluten-Allergiker, alle Weißmehlprodukte sind für sie tabu. Und da Manfred seit kurzem streng vegan lebt, kommt bei dieser Runde nicht einmal Fisch in Frage, Eierspeisen auch nicht.

Was also tun? Während mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt hungern, geht es bei uns längst nicht mehr ums Sattwerden. Es geht in unserer Wohlstandsgesellschaft um hoch individualisierte Ernährungstabus. Gesundheitliche und ethische Probleme werden zu ihrer Begründung angeführt. Wer noch isst, was auf den Tisch kommt, - wie die ältere Generation es mal gelernt hat - ist hoffnungslos von gestern und versündigt sich an seiner Gesundheit. Unser täglich Brot gib uns heute – aber bitte Gluten frei!

Was passiert da eigentlich? Setzt sich da ein Trend zur Vereinzelung durch, der uns ganz und gar nicht gut tut? Gemeinsam essen – „Futter teilen“, wie es die Anthropologen nennen – festigt die sozialen Bindungen und hat darum in allen Gesellschaften einen hohen Stellenwert. Es ist kein Zufall, dass auch die tiefste Symbolhandlung des christlichen Glaubens an ein gemeinsames Mahl erinnert. Jesus sucht immer wieder die Mahlgemeinschaft mit anderen. Das gemeinsame Essen hat in seinem kurzen Leben eine so große Rolle gespielt, dass seine Feinde ihn einen Fresser und Säufer nannten. Wie sympathisch.

Heute sind Heerscharen von Ernährungsgurus darum bemüht, mir die unschuldige Freude am Essen auszutreiben und immer wieder neue Produkte als schädlich zu brandmarken. Ich stelle mich taub. Einen fröhlichen Esser hat Gott lieb, denke ich, und beginne die nächste Essenseinladung an meine Freunde zu planen. Mit neuen Rezepten und mit neuen Hoffnungen. Denn das gemeinsame Essen muss verteidigt werden. Im Freundeskreis und auch in den Familien. Es ist mehr als bloße Nahrungsaufnahme. Es nährt die Seele.

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