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„Ich will für meine Tochter ein Vorbild sein.“
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„Ich will für meine Tochter ein Vorbild sein.“

Stefan Buß
Ein Beitrag von Stefan Buß, Katholischer Pfarrer in der Innenstadtpfarrei St. Simplicius, Faustinus und Beatrix, Fulda

Carla ist arbeitslos. Sie ist Mitte fünfzig. Im Jobcenter hatte man ihr klipp und klar gesagt: „Sie sind nicht mehr vermittelbar.“

Sie erzählt mir: „Damals bin ich in ein schwarzes Loch gefallen. Aber die schlimme Zeit dauerte nur ein paar Wochen.“ Es ging so lange, bis eine Freundin sie am Arm nahm und ihr sagte: komm wir brauchen dich.

Jetzt arbeitet Carla für „Die Tafel“, dieser sozialen Einrichtung in vielen Städten, die Lebensmittel an benachteiligte Menschen verteilt. Carla arbeitet für „Die Tafel“ täglich mehr als fünf Stunden – und sie arbeitet ehrenamtlich. „Warum machen Sie das?“ frage ich. Darauf sagt Carla: „Ich möchte meiner Tochter ein Vorbild sein.“

Und dann erzählt sie: „Ich bin mit vierzehn in die Lehre gegangen und ich hab gearbeitet mein Leben lang. Schließlich war ich Sachbearbeiterin in einem großen Betrieb. Ich hab mir nie was zu schulden kommen lassen. Aber entlassen worden bin ich trotzdem – Sparmaßnamen!“. Und nun ist das für Carla wichtig: sie will sich nicht zurücklehnen. Ihre Tochter soll auf jeden Fall sehen, dass sie anfassen kann und sie kann arbeiten, jetzt halt ehrenamtlich bei „Der Tafel“. „So will ich für meine Tochter ein Vorbild sein“, sagt sie.

Viele Menschen kennen Armut hierzulande eher als ein abstraktes Thema, als ein Problem von Zahlen und Prozenten. Armut selbst bleibt für viele unsichtbar.

Carla erlebt Armut. Sie sieht Armut jeden Tag. Sie selbst hat sich ihr breites, ansteckendes Lachen bewahrt. Aber sie kann auch verstehen, dass andere, die es erleben, bitter werden und sich durch die Armut bestraft fühlen.

Carla gibt ihre Selbstachtung nicht auf. Sie jammert nicht. Sie hat sich fest vorgenommen: für andere da zu sein. Und genau daraus gewinnt sie ihre Stärke.

Für mich ist es ermutigend, Menschen wie Carla zu begegnen. Denn Menschen wie sie zeigen, dass es möglich ist, selbst die Augen offen zu halten und Verantwortung zu übernehmen.

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