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Gelungene Halbheit
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Gelungene Halbheit

Dr. Anke Spory
Ein Beitrag von Dr. Anke Spory, Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg-Gonzenheim

Für den Ruhestand hatte sich das Ehepaar viel vorgenommen. Richtig reisen wollten sie nochmal, so wie vor vierzig Jahren. London, Paris, Rom, diese Ziele hatten sie fest im Blick. Das erzählen die beiden mir. Doch ein halbes Jahr, nachdem ihr Mann im Ruhestand war, so erzählt die Frau, da fing das mit den Augen an. Eine Operation nach der anderen. Und ihr Mann fügt hinzu: Alleine kann ich mich heute nur noch zu Hause bewegen, weil ich hier jede Ecke und jeden Winkel kenne. Draußen, auf der Straße und in der Stadt, finde ich mich nicht mehr zurecht.

Da nimmt die Frau die Hand ihres Mannes, wendet sich ihm zu, lächelt ihn an und sagt: Wissen Sie, den Ruhestand haben wir uns ganz anders vorgestellt. Was wollten wir noch alles machen! Nun ist es so. Aber sie fügt hinzu: So ist es gut.

Mich haben diese Worte berührt. Das Ehepaar hätte gute Gründe gehabt, verbittert zu sein. Unzufrieden, weil aus ihren Plänen nichts geworden ist. Enttäuscht, weil sich ihr Leben auf einmal durch die Krankheit völlig geändert hat. Sie haben ihre Wünsche an die Zukunft verändern müssen. Das ist nicht immer leicht.

Aber von all diesen Zwiespälten war in dem Moment nichts zu spüren. So, wie die beiden von ihrer Situation erzählt haben, fühlte es sich versöhnt an.

Das war sicher nicht einfach, dorthin zu kommen. Wenn Lebenspläne sich ändern – oder ändern müssen- kann das schmerzhaft sein. Es braucht Zeit, das anzunehmen, was im Leben unerfüllt bleibt.

Der Theologe Fulbert Steffensky hat mal geschrieben: Gegen den Wunsch, dass immer alles vollkommen ist, möchte ich die gelungene Halbheit loben.

Ich finde das wunderbar gesagt: Die gelungene Halbheit loben. Das Ehepaar hat sich auf die Reisen im Ruhestand gefreut. Nun müssen sie sich in ihrem Leben ganz anders einrichten. Aber ihnen ist gelungen, ihre neue Lebenssituation anzunehmen. Sie sind nicht stehen geblieben bei dem, was nicht geworden ist. Heute können sie sagen: Auch so ist es gut.

Die gelungene Halbheit loben. Das heißt ja, dem Leben auch dann zuzustimmen, wenn nicht alles meinen Erwartungen entspricht. Und es heißt auch zu erkennen: Ich kann in meinem Leben nicht alle Möglichkeiten verwirklichen. Manches bleibt unvollständig und begrenzt – und ist trotzdem gelungen.

Auch wenn das Leben manchmal unerwartete Wendungen nimmt, ist es nicht verboten, Pläne zu machen. Es ist sogar gut, auf die Zukunft zu setzen.

Und trotzdem ist es gut, wenn ich ab und zu daran denke: Die Schönheit des Lebens liegt nicht darin, dass alles vollkommen gelingt oder ich grenzenlos glücklich bin. Ja zum Leben zu sagen hat mit beidem zu tun: Dem Pläne machen, der Vorfreude auf das, was ich mir vorgenommen habe. Und eben auch: Das anzunehmen, was unvollständig bleibt. Und sogar mehr noch: Die gelungene Halbheit zu loben.

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