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Ostern - Kaum zu glauben
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Ostern - Kaum zu glauben

Johannes Meier
Ein Beitrag von Johannes Meier, Evangelischer Pfarrer und Journalist, Kassel
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Um genau 6 Uhr 58 ist heute Morgen in Kassel die Sonne aufgegangen. Ich habe diese exakte Sonnenaufgangszeit schon vor ein paar Wochen im Internet recherchiert. Normaler Weise ist es mir herzlich egal, wann genau es morgens hell wird. Hauptsache, es wird hell! – Heute Morgen aber spielt diese genaue Sonnenaufgangszeit eine wichtige Rolle. Denn dieser Morgen ist ja kein Morgen wie jeder andere. Es ist der Ostermorgen! Und Ostern, das ist ein Fest für Frühaufsteher, ein Morgen-Fest. Es beginnt mit dem Sonnenaufgang.

In vielen Kirchengemeinden sind heute Morgen Osternachts-Gottesdienste gefeiert worden. Die Feier der Osternacht beginnt noch vor dem Sonnenaufgang in der Dunkelheit. Christen denken dann zurück an die biblischen Geschichten von der Schöpfung oder von der Flucht der Israeliten aus ägyptischer Sklaverei. Vielleicht erklingen auch die alten Worte mancher Propheten noch einmal in der dunklen Kirche. Bis dann die Osterkerze entzündet wird: Hell durchbricht ihre Flamme die Finsternis und die Gemeinde singt im Wechsel: „Christ unser Licht! - Gelobt sei Gott!“

Während sich draußen der Himmel langsam lila färbt, wird nun drinnen das Osterevangelium verlesen: Es erzählt von zwei Frauen, die sich früh morgens auf den Weg zu der Grabstätte gemacht haben, in die man den zu Tode gekreuzigten Jesus nur wenige Tage zuvor gelegt hatte. Jetzt entdecken sie, dass das Grab leer ist. Sie erschrecken sich sehr. Und als sie schon weglaufen wollen, kommt einer auf sie zu und sagt: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus sucht, den Gekreuzigten. Er ist nicht mehr hier. Er ist auferstanden!

Jetzt erst, nach – oder meinetwegen auch schon während – dieser Geschichte sollten die ersten Sonnenstrahlen durch die Kirchenfenster auf die Ostergemeinde fallen. Die Todesnacht ist überwunden, mit dem Sonnenaufgang kommt das Leben – und der Appetit auf frische Brötchen und dampfenden Kaffee! In vielen Gemeindehäusern sitzt man nach der Feier der Osternacht beisammen und lässt sich jetzt ein leckeres Osterfrühstück schmecken.

Doch all das, was ich hier gerade erzählt habe, kommt Ihnen vielleicht völlig fremd und fern vor: Umfragen haben ergeben, dass für die meisten Deutschen Ostern heute keine religiöse Bedeutung mehr hat. 6 von 10 Bundesbürgern besuchen an den Osterfeiertagen keinen einzigen Gottesdienst, keine Osternacht, kein Osterfrühstück im Gemeindehaus. Gut möglich also, dass auch Sie liebe Hörerinnen und Hörer jetzt denken: „Was erzählt dieser Pfarrer da für Märchen. An den Osterhasen glaube ich nicht mehr, seit ich als Sechsjähriger meine Mama beim Eier-Verstecken im Garten beobachtet habe. Was soll mir da als klar denkender Erwachsener diese Auferstehungsgeschichte sagen? Nee, tut mir leid, das kann ich so nicht glauben. Da bin ich wohl einfach nicht fromm genug dafür.“

Mit sechs Jahren zu schlau für den Osterhasen und heute nicht fromm genug, um an die Geschichte von Jesu Auferstehung zu glauben? – Nun, da bin sogar ich als Pfarrer ganz bei Ihnen. Jedenfalls, wenn man sich die Auferstehung so wie Mel Gibson vorzustellen hätte. In seinem Kino-Epos „Die Passion Christi“ hat der bibelfeste Schauspieler und Regisseur ja vor einigen Jahren die Leidensgeschichte Jesu für die große Leinwand inszeniert.
Ganz am Ende des Films sieht man dann, wie sich Jesus im gleißenden Morgenlicht von seinem Totenlager in der Grabeshöhle erhebt und als unsterblicher Superheld nach draußen schreitet. Wow. Eindrucksvoll in Szene gesetzt war das, keine Frage. Aber an diese Hollywood-Version der Auferstehung mag auch ich nicht glauben. Die Ostergeschichte als frommer Zombiefilm? An diese wandelnden Untoten glaube ich ja genauso wenig. Nein, das mit der Auferstehung muss anders gewesen sein. Ganz anders. Ich glaube, dass man das, wovon in der biblischen Ostergeschichte erzählt wird, nicht so einfach und direkt mit einer Filmkamera hätte erfassen können. Ich glaube, dass Auferstehung etwas mit neuer Hoffnung und neuem Mut zu tun hat, mit Menschen, die verzweifelt am Boden gelegen haben – und sich nun wieder aufrichten, nun wieder „auferstehen“. Und genau das ist ja auch nachweislich passiert. Die Sache Jesu war mit seinem Tod nicht zu Ende, sie ging danach erst richtig los. Die, die an ihn glaubten, standen auf und erzählten in der ganzen Welt weiter, was sie von ihm über das Leben und den Glauben an einen liebenden Gott erfahren haben.

Ob Jesus aber wie ein Superheld oder Zombie dem Grab entstiegen ist? Es fällt mir wirklich schwer, diese Geschichte einer körperlichen Auferstehung so eins zu eins zu glauben. Ein Märchen oder unwahr ist sie deswegen aber nicht: Ich verstehe sie eher als ein Symbol, eine Geschichte, die in Worte fassen will, was so schwer auszudrücken ist.

In den Augen des bibeltreuen Erzkatholiken Mel Gibson mag ich damit ein Zweifler sein – aber das nehme ich gern in Kauf. Als Zweifler bin ich nämlich in bester Gesellschaft: Sogar die Jüngerinnen und Jünger Jesu taten sich ja schwer damit, das, was ihnen da über die Auferstehung ihres Herrn und Meisters berichtet wurde, einfach so für bare Münze zu nehmen.

Besonders kritisch war Thomas, den man daher bis heute ja auch den „Ungläubigen“ nennt. Thomas möchte einen Beweis für das, was ihm die anderen erzählt haben, sonst kann und will er nicht glauben. Der bloße Bericht, Worte allein, fromme Theorie – all das genügt ihm nicht. Er ist Realist: „Ich glaube nur, was ich sehe. Ich glaube nur, was man anfassen, zählen und messen kann.“

Der ungläubige Thomas erinnert mich an die ersten russischen Kosmonauten, die nach ihrer Rückkehr aus dem All berichteten, sie wären ja nun wirklich „im Himmel“ gewesen, aber Gott hätten sie nicht gesehen. Ein vermeintlicher Anti-Gottesbeweis, der dem atheistischen Regime Russlands damals ganz gelegen kam.
Wenn aber Gott sichtbar, messbar, beweisbar wäre, dann wäre er ja nicht Gott. Dann wäre er nämlich unseren Beweismethoden unterworfen, er wäre sozusagen kleiner als unsere Methoden und damit kleiner als wir selbst. Wenn es ihn gibt und wenn er alles geschaffen hat – auch unseren Verstand – dann steht er über allen Beweisversuchen. Intellektuelle Glaubenszweifel können mit schlauen Argumenten also genauso wenig widerlegt werden, wie der Glaube selbst. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass der Glaube nicht im Verstand, sondern im Herzen wurzelt, dass er nicht auf der rein gedanklichen, sondern vor allem auf der existentiellen Ebene wächst.
In der Frankfurter Fußgängerzone habe ich einmal eine kleine Gruppe von Menschen beobachtet, die eine sogenannte Straßenevangelisation betrieben: Alle sagen zur Gitarre irgendwelche frommen Lieder. Zwischendurch trat dann immer ein Mann oder eine Frau aus dem Kreis heraus und predigte zu der vorübergehenden Laufkundschaft. Das waren dann so richtig feurige Ansprachen, in denen mit Begriffen wie "Buße tun", "Himmel" oder auch "Sünde" und "Hölle" nur so um sich geworfen wurde.
Diese Menschen sind sich Ihrer Sache ganz gewiss gewesen, da war keine Spur von Zweifel zu entdecken. Vielleicht habe ich mich deswegen so unwohl beim Zuhören gefühlt, so als ob ich gleich keine Luft mehr bekommen würde. Den zweifelnden Jüngern wie Thomas fühle ich mich da schon sehr viel näher.

Ich bin froh, dass die Bibel deren innere Glaubenszweifel nicht verheimlicht, dass sie nicht als breitbeinige Gewissheitsapostel und allzeit bereite Antwortengeber vorgestellt werden – sondern eben als ganz normale Menschen mit ganz normalen Gefühlen und Unsicherheiten. Ja, sie sind mir einfach sympathisch, diese Zweifler.
Wer zweifelt ist ein Skeptiker – und das heißt auf Griechisch ein Suchender. Einer, der sich mit dem Vorhandenen nicht einfach abfindet, sondern auf die Suche geht nach Neuem und Besseren. Einer, der die Hoffnung nicht aufgibt.

Gerade heute am Ostermorgen also sind Zweifel nicht verboten, sondern herzlich willkommen. Sie sorgen nämlich dafür, dass ich den Glauben an Gott nicht einfach abhake, wie den Osterhasen. Gerade in meinem Zweifeln spüre ich ja, dass er mir nicht egal ist, dass mich die Idee eines Gottes, der stärker ist als alle Verzweiflung, Ungerechtigkeit und Todesmacht dieser Welt, nicht kalt lässt. Auch wenn ich es nicht immer kann, so will ich doch an ihn glauben. Mein Kopf mag sich manchmal schwer tun, aber aus vollem Herzen stimme ich mit ein in den österlichen Ruf: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“

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