Was uns lebendig hält
Jetzt darf ich ihn wieder besuchen, meinen Freund im Seniorenheim. Natürlich unter Auflagen. Die Zeit war lang, dass wir uns nicht sehen durften. Viele Ältere haben darunter gelitten. Jetzt geht es wieder. In Frankreich haben sie sogar kleine Zelte erfunden, in denen Töchter und Söhne ihre alten Eltern besuchen können (stern.de 4.6.20). Die Zelte stehen im Garten des Heims. Darin ist man geschützt, sogar ohne Masken, nur ein dünner Vorhang aus Plastik zwischen ihnen. Endlich wieder in die Augen sehen, endlich wieder anlächeln und hören, was der andere sagt. Der dünne Vorhang hilft sogar, einander zu berühren. Man berührt nicht direkt die Haut. Manche Ältere blühen regelrecht auf; Sohn oder Tochter ebenso.
Es ist so wichtig, dass man sich sieht und einander berührt.
Wie haben Menschen das vermisst. Es ist noch längst nicht wie früher. Es gibt aber kleine Schritte. Die zeigen: Ich hab‘ dich lieb, Mama oder Papa. Du bist nicht vergessen. Umgekehrt auch. Ich habe ihr Lachen so vermisst, sagt der Papa einer Zeitung. Das macht mich lebendig. Jetzt spüren wir wieder, dass wir nicht alleine in der Wohnung auf bessere Zeiten warten müssen, sondern Freunde haben, Verwandte, Kolleginnen. Und die, die in einem Heim leben und wieder Besuch bekommen dürfen, ganz vorsichtig.
Bald besuche ich meinen Freund. Es gibt viel zu erzählen. Und Gott danken wollen wir auch, dass wir uns haben und wieder sehen dürfen. Ich brauche den Freund. Menschen brauchen einander. Das hält uns lebendig.