Ziemlich beleibt, mit Schlapphut
Er ist ziemlich beleibt und trägt oft einen Schlapphut. So kenne ich Kommissar Maigret aus Paris. Kein Draufgänger, eher leise und vorsichtig. Einmal sagt Maigret, warum er wenig von einem Haudegen hat und lieber bei Pfeifenrauch und Wein nachdenkt: Ich will verstehen, sagt er, und nicht urteilen. Kommissar Maigret will nicht nur auf die Schliche kommen, sondern auch hinter die Dinge. Verstehen und nicht urteilen. Warum hat einer gestohlen? Was genau hat ihn zu dieser Tat getrieben? Gab es keinen anderen Weg? Wer hätte das verhindern können? Im Urteilen ist man schnell bei der Hand. Ein flinkes Urteil klärt aber nichts, im Gegenteil. Wer zu schnell Bescheid weiß, verhindert jede Aufklärung.
Verstehen ist mühsam. Der Kommissar quält sich oft durch seinen Alltag und seine Fälle. Der Weg hinter die Tatsachen ist oft schwierig. Wem es zu anstrengend ist, macht sich ein schnelles Bild und ist dann fertig mit der Angelegenheit. Irgendjemand wird schon schuldig sein: die Regierung, die Zeitungen, der Nachbar oder die, die immer so schmuddelig aussieht. Das geht verführerisch schnell. Und weil es so schnell geht mit der Schuld, ist Kommissar Maigret dagegen. Es ist einfach zu leicht. Er geht den schweren Weg hinter die Tatsachen.
Verstehen heißt nicht, dass ich zustimme oder einverstanden bin. Verstehen heißt, die Welt auch aus den Augen des anderen zu sehen und mit den Sinnen der anderen zu erfühlen. Wer jemanden verstehen will, muss sich an dessen Welt herantasten, im Geiste den Mantel des anderen anziehen und mal so tun, als habe man den Herzschlag des anderen. Das ist ein Abenteuer. Je mehr ich es wage, desto weiter wird mein Herz. Und ich vergesse bald, über andere nur zu urteilen. Das hat Zeit. Verstehen ist, für eine Weile der andere Mensch zu werden, ohne mit ihm einverstanden zu sein. Ich glaube, dass Gott mich so will.