hr2 MORGENFEIER
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Müller, Michael

Eine Sendung von

Pfarrer der Pfarrei Hl. Maria Magdalena Hünfelder Land

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Das warme Licht des Glaubens

Ich erinnere mich noch gut an das Jahr 2012. In diesem Jahr trat in der gesamten Europäischen Union das Verbot der herkömmlichen Glühbirne in Kraft. Viele Leute fürchteten damals um das warme Licht, das der leuchtende Glühfaden der bis dahin gebräuchlichen Birnen ausstrahlte. Ein Licht, das mit seiner wohligen Atmosphäre vor 15 Jahren noch nicht so einfach zu ersetzen war. Die damals üblichen Energiesparbirnen waren nicht nur recht klobig, sondern verbreiteten auch ein meist kaltes Licht. In Räumen, die damit beleuchtet wurden, herrschte eher Arbeitsatmosphäre. Und was man da in die Fassungen drehen konnte, war auch nicht besonders ästhetisch. Weiße, klobige Aufsätze mit kleinen Röhren.

Antiker Kronleuchter trifft moderne LEDs

Die Folge war: Viele Menschen hamsterten die alten Glühbirnen mit ihren glimmenden Leuchtfäden. Die Nachteile, wie vor allem der Energieverbrauch, waren ihnen egal. Ich muss gestehen, auch ich war nicht ganz unbeteiligt an dieser kleinen Panik – nicht etwa, weil ich besonders nostalgisch wäre oder ein Technikfeind. Nein, ich machte mir viel mehr Gedanken um die Kronleuchter in meiner damaligen Kirche. In der prächtigen einstigen Klosterkirche von Salmünster aus der Mitte des 18. Jahrhunderts hängen seit der letzten Renovierung große Lüster in neubarocken Formen. Jeder Kronleuchter hatte zahlreiche Glühbirnen und ist mit Glaskristallen behängt. Sie tauchten das Gotteshaus in ein festliches Licht. Und jeder, der einmal einen schönen Kronleuchter leuchten gesehen hat, weiß: Nur mit den klassischen Glühbirnen wirkt er richtig, kommt er doch noch aus der Zeit, in der Kerzen die Räume erleuchteten. Mir war klar: 20 Energiesparlampen auf einem Kronleuchter - das geht gar nicht. So legte ich mir, wie viele andere Menschen, einen gewissen Vorrat an.

Die Revolution des Lichts

Was wir damals noch nicht wussten: Wir standen am Anfang einer Revolution. Was sich da seit 2012 bis heute vollzogen hat, könnte man – technisch gesehen – als eine Revolution des Lichts bezeichnen. Die Zeit des Metalldrahtes, der durch elektrischen Strom zum Glühen gebracht wurde und dadurch nicht nur Licht, sondern auch viel unnötige Wärme erzeugt, ist vorbei. Mit der Light Emitting Diode, kurz LED, wurde das künstliche Licht quasi neu erfunden. Klein, sparsam, leistungsstark. Diese zu Deutsch „lichtemittierenden Dioden“ können inzwischen auch jenes warme Licht erzeugen, das wir so lange mit der alten Glühbirne verbunden haben. Eine großartige Sache: mehr Licht bei weniger Energie.

Mehr Möglichkeiten, Licht zu gestalten – in Farbe, in Form, in Dynamik. Licht, das uns begleitet – in der Küche, auf der Straße, in Theatern, Museen … Und inzwischen auch auf den Kronleuchtern der Schlösser oder eben auch meiner damaligen Kirche. Diese ganze Entwicklung hat für mich auch etwas Symbolisches. Das Licht ist ja eine der Grundvoraussetzungen des Lebens. Inzwischen bestimmt das künstliche Licht unseren Alltag. Und es erzeugt eben auch Stimmungen. Die Hamsterkäufe vor rund 15 Jahren sind für mich ein Bild für die innere Sehnsucht, die in uns Menschen steckt, nach Wärme und Heimat, nach einem guten Gefühl, nach einer wohligen Atmosphäre. 

„Wo Licht ist, ist auch Schatten.“ Fast jeder kennt dieses Sprichwort. Unser Leben kennt beides: Licht und Schatten. Momente, in denen alles klar erscheint – und Zeiten, in denen wir im Dunkeln tappen. Gerade dann ist die Sehnsucht nach Licht besonders groß. Jetzt in der dunkler werdenden Jahreszeit merken wir das besonders. Die Tage werden kürzer, die Nächte länger. Der Nebel zieht durch die Straßen, das Licht wird fahler und gedämpft. Wir sehnen uns nach dem Licht. Nach einem Licht, das wärmt und Atmosphäre schafft. Das künstliche Licht tritt oft an die Stelle der fehlenden Sonne, die in der warmen Jahreshälfte für Wärme und Freude sorgt. Viele schmücken jetzt ihre Häuser und Fenster mit Lichtern. Und auf manchem Tisch steht neben dem Buch, das gerade gelesen wird, eine Kerze oder es brennt das Feuer im Karmin. 

Musik : Antonio Vivaldi – german, austrian and czech violins – Sonata No. 4 in D Minor, RV 14, Adagio  

Ein Licht das unser Innerstes erleuchtet

Heute feiern katholische Christen in unserem Land und auf der ganzen Welt einen Tag, an dem wir uns an unsere Toten erinnern und für sie beten. Dabei spielt das Licht eine besondere Rolle. In manchen Gemeinden werden in den Gottesdiensten für alle Verstorbenen des vergangenen Jahres Kerzen angezündet. Wir schauen auf das Licht. Dabei geht es aber nicht um ein Licht, das man einfach einschalten kann. Nicht um moderne Lichttechnik, die in ihrem Haus vielleicht schon längst eingebaut ist. Nein, es geht vielmehr um ein anderes Licht. Ein Licht, das nicht nur wärmt und Atmosphäre schafft, sondern unser Inneres erleuchtet. Ein Licht, das sozusagen in unserer Seele leuchtet. Vom Ewigen Licht ist die Rede – vom Licht der Seele. 

Allerseelen, so heißt der Tag, den katholische Christen heute auf der ganzen Welt feiern. Dieses Fest, das immer am 2. November begangen wird, ist sehr alt. Es hat seinen Ursprung schon im Jahr 998. Damals feierte man es im berühmten Kloster von Cluny zum ersten Mal. Von Burgund aus verbreitete sich das Fest in der gesamten westlichen Kirche. Ein Licht für die Seele … Am heutigen Tag spielt dieses warme und angenehme Licht, von dem ich ganz zu Anfang gesprochen habe, eine ganz besondere Rolle. Viele katholische Christen besuchen an diesem Tag die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen. Und sie tun dies fast immer mit einem Licht in der Hand.

Sie tragen ein warmes, flackerndes Licht auf die Gräber. Das Licht einer Kerze, sei sie echt oder – oder wie inzwischen auch üblich - künstlich. Inzwischen kann die LED-Technik auch die Flamme einer Wachskerze täuschend echt imitieren. Und dieses Grablicht ist nicht nur ein Symbol des Erinnerns. Dieses Licht ist für Christen ein Zeichen der Hoffnung. Der Hoffnung, dass der Tod nicht das Ende ist. Der Hoffnung, dass unsere Verstorbenen weiterleben – im Licht Gottes.

Gott ist das Licht auf unserem Lebensweg

Licht – ohne diese Metapher können wir Christen uns Gott nicht vorstellen. Von Menschen, die Gott im Licht erfahren, erzählt die Bibel an unzähligen Stellen. Licht ist das zentrale Element der Schöpfung. Gott ist der Schöpfer des Lichtes, aus dem alles Leben heraus möglich wird. Licht umstrahlt die Hirten in der Weihnachtsgeschichte. Licht strahlt den Jüngern entgegen auf dem Berg der Verklärung. Licht sehen die Frauen am Ostermorgen aus dem Grab leuchten. Über Jahrhunderte bis in unsere Zeit ist für Menschen die Erfahrung Gottes eine Erfahrung des Lichtes. Im ersten Johannesbrief bekennt der Verfasser: „Von ihm, Jesus Christus, dem offenbar gewordenen Wort, haben wir die Botschaft gehört, die wir euch weitersagen: Gott ist Licht, in ihm gibt es keine Spur von Finsternis.“ (1 Joh 1,5)

Sehr beeindruckt hat mich vor einigen Monaten ein wissenschaftlicher Bericht, der sich mit Nahtoderfahrungen von Menschen befasst hat. Das Untersuchungsergebnis war verblüffend: Alle, die eine solche Erfahrung – unabhängig von Alter, Kultur oder Religion – gemacht haben, erzählen vom Licht. Sie fühlten sich aus dem Körper gelöst, sahen ihr Leben vorüberziehen und gingen auf ein helles Licht zu. Ein Licht, das nicht blendete, das Wärme ausstrahlte. Ein Licht, das sie anzog. Viele sprechen von einem tiefen Frieden, von einem Gefühl der Heimkehr. Sicher – solche Erfahrungen lassen sich medizinisch und psychologisch deuten. Aber sie sind für mich eine Spur, die auch der Allerseelentag nachzeichnet. Ein Tag, der die lichtvolle Botschaft von Ostern bezeugt: Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Übergang. Ein Hinübergehen – in ein anderes Licht, ein lebendiges Licht.

Musik : Georg Friedrich Händel - german, austrian and czech violins – Sonata in F Major, No. 3, Adagio 

Gott ist das Licht auch über den Tod hinaus

Im christlichen Glauben hat dieses Licht einen Namen: Jesus Christus. „Ich bin das Licht der Welt“, sagt er im Johannesevangelium. „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis gehen, sondern hat Licht des Lebens.“ Ein starkes Wort, ein tröstliches Wort. Vielleicht trauen Sie heute auch um einen lieben Angehörigen. Einen Menschen, der Ihnen jetzt, in den dunklen und trüben Tagen des Novembers, besonders fehlt. Ich denke an das letzte Osterfest. Nach der Osternacht standen die Leute noch auf dem Kirchplatz zusammen. Eine Frau hatte noch ihre brennende Kerze in der Hand und schützte die Flamme gegen den leichten Wind, der über den Platz zog. „Wollen Sie das Osterlicht mit nach Hause nehmen?“, fragte ich sie. „Ja“, bekam ich zur Antwort, „aber wir bringen es immer auf den Friedhof, zum Grab der Eltern.“ In vielen Ländern der Erde ist dies ein österlicher Brauch.

Ich kann mich noch an meine Kinderzeit erinnern. Für uns Kinder war der Besuch auf einem nächtlichen Friedhof eigentlich nur in einer Geisterstunde vorstellbar. Aber am Allerseelentag war dies anders. Da hatte der Friedhof seine angstmachende Atmosphäre verloren. Überall auf den Gräbern brannten zahllose Lichter. Die vielen Kerzen, die aus den roten Gläsern herausleuchteten, tauchten den gesamten Friedhof in einen sanften, aber alles erfassenden Glanz. Natürlich ging man auch zu den Gräbern der eigenen Familie, um ein Licht anzuzünden.

Die Lichter sind weniger geworden. Und auch die Gräber. Viele verzichten heute auf ein Grab. Und ein neues Bestattungsgesetz in Rheinland-Pfalz erlaubt es sogar, die Asche eines Verstorbenen auf einer Wiese zu verstreuen oder einen Diamanten daraus zu pressen. Natürlich kann jeder entscheiden, wo und wie er bestattet werden will. Aber ich finde es schade, dass die Friedhöfe als ein öffentlicher und für alle zugänglicher Ort mehr und mehr aus dem Bewusstsein schwinden. Fast im gesamten Alpenraum gibt es heute noch den früher überall üblichen Ort: direkt in der Mitte des Dorfes - rund um die Kirche.

Musik : Johan Sebastian Bach - german, austrian and czech violins – Sonata No. 2, BMW 1015, Andante un poco 

Das Licht, dass uns sofort umfängt

Bei jeder Taufe wird eine Kerze entzündet. In der katholischen Form wird der Täufling bzw. bei der Kindertaufe werden die Eltern aufgefordert: „Empfange das Licht Christi.“ Und die Taufkerze wird an der Osterkerze entzündet. Ein zarter Anfang. Ein Versprechen: Gott begleitet dich durch dein Leben. Er begleitet dich auch durch alles Dunkel hindurch. Gerade dann, wenn es dunkel wird, will dir sein Licht leuchten. Am Ende des Lebens entzünden wir dann wieder ein Licht. Am Bett eines Verstorbenen und dann auch am Grab. Wir entzünden dieses Licht manchmal mit zittrigen Händen und vielleicht mit nassen Augen. Aber auch mit Hoffnung. Diese Lichter sind wie kleine Osterfeuer – inmitten des Novembers. Sie leuchten gegen die Dunkelheit in uns. Gegen die Kälte der Vergänglichkeit. 

Und sie erinnern an das große Licht, das Christen jedes Jahr an Ostern feiern, wenn der Winter zu Ende geht. In der Osternacht wird in die völlig finstere Kirche ein Licht hineingetragen: die brennende Osterkerze. An ihr entzünden sich viele weitere Lichter. Sie breiten sich aus. Ohne Lärm, ohne Macht. Nur durch Nähe. Nur durch Teilen. So beginnt das größte Fest des Lebens – mit einem einzigen Licht. Ich finde: Das ist ein starkes Bild für den christlichen Glauben. Denn er sagt: Am Ende siegt nicht der Tod, sondern das Leben. Nicht das Dunkel behält das letzte Wort, sondern das Licht. Und dieses Licht ist nicht abstrakt. Es ist eine Person: Jesus Christus. In ihm ist Gott uns ganz nahegekommen. Er hat das Dunkel des Todes selbst durchlitten und überwunden. Er ist das Licht, das Gott in unsere Welt hineingestellt hat. Nicht grell. Nicht zwingend. Aber stark genug, um unsere Herzen zu wärmen.

Das Licht auf dem Grab erzählt von Hoffnung

Ich habe die viele Kerzen vor Augen, die heute oder am Totensonntag auf den Friedhöfen stehen werden. Jedes Licht erzählt von einem Menschen. Von einem Leben. Von einer Liebe, die nicht endet. Und ich denke an all die Lichter, die aufgestellt werden, wenn irgendwo auf der Welt ein Unglück geschieht. Oder ein Terroranschlag. Wenn das Unfassbare geschieht – und Menschen auf die Straße gehen, sprachlos, erschüttert, aber mit einer Kerze in der Hand. 

Wie damals, nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016. Menschen kamen zusammen. Ganz still. Sie standen da, hielten inne – und entzündeten Lichter. Nicht als politische Geste. Nicht als Protest. Sondern aus einem tiefen Bedürfnis heraus: Dem Leben zu gedenken. Dem Dunkel etwas entgegenzusetzen. Diese Lichter sagen leise: Wir lassen uns nicht vom Hass beherrschen. Wir antworten mit Licht. Mit Menschlichkeit. Mit Hoffnung. Und so kann auch Allerseelen verstanden werden: Nicht nur als Tag der Trauer, sondern als Tag des Lichtes, als ein Tag der Hoffnung. Ein Tag, der mitten im November daran erinnert, dass Ostern kommen wird. Und dass kein Dunkel dieser Welt das Licht auslöschen kann, das Gott einmal entzündet hat.

Musik: Johan Sebastian Bach - german, austrian and czech violins – Sonata No. 2, BMV 1015, Allegro assai 

Musikauswahl: Regionalkantor Christopher Löbens, Hünfeld