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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

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Beinahe ein Gottesbeweis

Beinahe ein Gottesbeweis

Kann man Gott beweisen? Vielleicht ein bisschen? Davon erzähle ich Ihnen jetzt. Von Herrn Kristal nämlich. Er lebt in Amerika, ist jüdischer Bürger und 113 Jahre alt. 1903 geboren. Schwer vorstellbar, so ein Alter. Gewaltig ist auch sein Traum. Als er dreizehn war, war Erster Weltkrieg. Auch in Polen, wo er damals lebte ohne seine Mutter, die schon gestorben war. Weil Krieg war und sein Vater Soldat in der Fremde, konnte das wichtigste Fest des Kindes Kristal nicht gefeiert werden: Bar Mizwa, die Religionsmündigkeit, bei uns Firmung oder Konfirmation. Das hat Kristal traurig gemacht, hundert Jahre lang. Weil seine Liebe zu Gott aber groß bleibt, hundert Jahre lang, hat seine Familie diese Bar Mizwa jetzt mit ihm nachgefeiert, vor ein paar Tagen, am 113. Geburtstag (Spiegel-online 13. 10. 2016). Und Kristal weinte vor Glück.

Wie könnte man Gott beweisen außer mit Liebe? Ein Leben lang träumt Kristal davon, ein Leben lang liebt er Gott und will nachholen, was ihm versagt blieb. Und dann erfüllt sich Gottes Liebe an ihm. Kristal feiert am 113. Geburtstag den, dem er vertraut: den ewigen Gott, Schöpfer Himmels und der Erde.

Nichts trennt ihn von Gott. Der frühe Tod der Mutter nicht. Der Tod seiner ersten Familie nicht, die im Dritten Reich ermordet wird von Nationalsozialisten. In allem Zorn und in aller Trauer sagt er sich vielleicht, was uns auch hilft: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Und dann, mit 113 Jahren, kommt der große Gott in sein kleines Zimmer. Beide, stelle ich mir vor, zeigen sich ihre Liebe zueinander. Wenn das kein Gottesbeweis ist. Und wenn es nur ein winziger ist. Es gibt doch viele Stunden der Liebe auf der Welt. Trotz allem. Auch bei Ihnen, bei mir.

Und all die kleinen Stunden der Liebe zusammen ergeben ein großes Bild: Gott beweisen die, die lieben.