hr2 ZUSPRUCH
hr2
Vonderau, Judith

Ein Sendung von

Katholische Autorin bei "kirche im hr", Bad Orb

00:00
00:00

Gerechtigkeit über Gehorsam

Hildegard von Bingen – eine Frau, die hauptsächlich durch ihr Wissen über Naturheilkunde, Klostermedizin und viele Kochrezepte bekannt ist. Heute vor 846 Jahren ist sie gestorben.

Hildegard von Bingen war aber weit mehr als nur Kräuterfrau oder Hobbyköchin. Hildegard war Klostergründerin, Äbtissin und Mystikerin, Künstlerin, Wissenschaftlerin, Ärztin und Dichterin. Solche bedeutenden Titel und Bezeichnungen können beeindrucken – und manchmal auch abschrecken. Wenn jemand so viel kann und weiß, dann wirkt das auch durchaus respekteinflößend.

Es tut dann gut, zu schauen, was hinter all den Titeln steckt. Wer ist der Mensch hinter der Klostergründerin, der Ärztin, der Dichterin? Was hat Hildegard von Bingen in ihrem Leben getan; was hat sie ausgemacht? Sicher gibt es da viel zu sagen. Ein Ereignis aus Hildegards Leben beeindruckt mich besonders: Hildegard rebelliert. Sie stellt sich gegen das damals geltende Kirchenrecht und somit auch gegen den Papst selbst. Sehr ungewöhnlich für eine Frau im Mittelalter.

Ihre Liebe zu den Menschen steht über allem

Der Maßstab für Hildegards Handeln ist die Liebe. Der Grund: ganz einfach. Gott liebt die Menschen. Also will auch Hildegard die Menschen lieben. Für sie kann das ganz unterschiedlich aussehen und manchmal eben auch gegen alle Gesetze verstoßen. In diesem einen Fall, der für Aufsehen gesorgt hat, ging es um eine Beerdigung. Ein Edelmann war gestorben und wurde auf dem Friedhof begraben. Das Problem: Der Friedhof war natürlich kirchlich – und der Edelmann nicht. Genauer gesagt: Er war exkommuniziert, also von kirchlichen Handlungen ausgeschlossen. Irgendetwas Schwerwiegendes muss vorgefallen sein; die Exkommunikation war die Strafe dafür. Teil dieser Strafe war, dass er nicht auf dem Friedhof bestattet werden durfte. Der stand nämlich unter kirchlicher Verwaltung, war also geweihte Erde.

Hildegard ließ ihn trotzdem dort bestatten. Und diese Entscheidung hatte ihren Grund: Der Edelmann hatte sich kurz vor seinem Tod wieder mit der Kirche versöhnt. Die Zeit hatte aber nicht mehr gereicht, um genau das offiziell zu klären.

Geradlinig, fair und in ihrem Glauben unerschütterlich

Und so gab es Ärger: Der Bischof von Mainz forderte, den Leichnam wieder auszugraben – er gehörte nicht in die geweihte Erde, sondern auf den Schandacker. Hildegard hörte nicht auf den Bischof. Stattdessen schrieb sie ihm: „Gerechtigkeit geht über Gehorsam“. Für Hildegard war hier die Grenze erreicht. Kein Gesetz konnte sie davon abhalten, ihrem Gewissen zu folgen.

Gewissenentscheidungen sind auch heute noch herausfordernd. Sie verlangen Mut, Stärke und Entschlossenheit. Hildegard hat gezeigt, wie es gehen kann und damit vielleicht etwas gezeigt, was ich heute von ihr lernen kann: wie ich mich einsetzen kann, für welche Werte und Überzeugungen ich stehe.