Täglich unterwegs mit Gottvertrauen
An Ludwig komme ich in dem Moment vorbei, als er sein Fahrrad vom Hof auf die Straße schiebt. „Gott befohlen“, ruft er mir zu und zieht dabei seinen Hut, ganz alte Schule. Voller Stolz blickt Ludwig auf sein altes Fahrrad. Frisch geputzt glitzert es in der Sonne. „Klingel, Bremse und Licht funktionieren einwandfrei“, erklärt mir Ludwig. „Mehr braucht‘s nicht.“ Der Korb auf dem Gepäckträger zeigt mir: Er ist gerade auf dem Weg zum Einkaufen.
Weshalb ich Ludwigs Freude am Radfahren besonderes erwähne? Er ist schon einhundert Jahre alt. „Wenn Gott will, werde ich nächstes Jahr einhundert und eins“, sagt er stolz. Doch auch Wehmut klingt in seiner Stimme. „Das Fröhlichsein fällt mir an manchen Tagen schwer“, gibt er zu, „Freunde und Alterskameraden gibt es kaum noch und meine Geschwister leben schon lange nicht mehr. Zum Glück wohne ich mit meinem Enkel Tür an Tür,“ fügt er schnell hinzu.
Dann zieht Ludwig noch einmal kurz seinen Hut, steigt auf sein Fahrrad und tritt in die Pedale. Das Tempo, das er vorlegt, ist beachtlich. Aus der Puste gerät der Hundertjährige dabei kaum. Das tägliche Training hält ihn fit. Beim Radfahren macht ihm so schnell keiner was vor. Geschickt schlängelt er sich am Stau der Autos vorbei.
Es ist erst ein paar Wochen her, da wurde Ludwig von einem Laster gefährlich geschnitten und zu Fall gebracht. Doch er hatte Glück im Unglück und kam mit Rippenbrüchen davon. Und wenige Tage später war er schon wieder unterwegs: Mit dem Fahrrad versteht sich. „Wenn sie auf die Siebzig zugehen, lassen die meisten ihr Fahrrad stehen,“ sagte Ludwig mal zu mir und dann: „Für mich kommt das nicht in Frage. Das Fahrrad ist für mich unentbehrlich. Ich werde es erst dann stehen lassen, wenn Gott mich ruft.“