Warum Edith nicht gutmütig ist
Edith ist fünfzig Jahre alt und tut viel Gutes. Das sieht man schon ihrem Gesicht an. Sie hat etwas ganz Herzliches. Der Nachbarin hilft sie beim Einkaufen; ein Junge bekommt von ihr Nachhilfe im Schreiben und Rechnen. Wenn sie Geld übrig hat, spendet sie es den Armen. Gut sein tut auch mir gut, sagt Edith. Aber manchmal sagt sie einfach Nein und will nicht gut sein. Dann fällt ihr ein, was die Oma immer gesagt hat: Gutmütigkeit, hat die Oma gesagt, Gutmütigkeit ist ein Stück von Liederlichkeit. Ein bitterer Satz, denkt man beim ersten Hören. Beim zweiten Hören wird der Satz klarer: Gutmütigkeit ist ein Stück von Liederlichkeit.
Man darf sich nicht ausnutzen lassen, sagt Edith dazu. Es gibt Menschen, die verlassen sich nur auf andere. Die unterstütze ich nicht. Jeder ist erstmal für sich selbst verantwortlich. Man darf nicht einfach drauflos leben und denken, die anderen werden schon helfen. Ich nicht, sagt Edith. Ich passe auf, ob jemand wirklich meine Hilfe wirklich oder ob mich jemand einfach nur ausnutzt. Ich will gut sein und nicht gutmütig.
Das ist ein wichtiger Unterschied, lerne ich von Edith. Gut sein ist etwas anderes als gutmütig sein. Gut sein ist ernst, manchmal streng. Nächstenliebe wirft die Hilfe nicht einfach in die Welt wie Wasser aus einer Gießkanne. Wer wirklich helfen will, hilft gezielt: der Tafel für die Mittagessen, Nachhilfe für den Schüler, Brot für die Welt in Afrika und Asien. Da weiß man, dass Hilfe sinnvoll ist. Gut sein gibt nicht dauernd hier etwas und da, sondern kennt die eigenen Grenzen. Ich kann die Welt nicht retten. Noch nicht einmal Jesus konnte das. Auch wenn Elend ihm das Herz zerreißt, kann er nicht alle retten oder gesund machen. Aber etwas anderes kann er: da gut und herzlich sein, wo er gerade ist. Er kann seine Hilfe anbieten oder warten, dass jemand ihn bittet. Das geht auch. Nicht überall hinspringen und helfen wollen, sondern darauf lauschen, ob die Hilfe überhaupt gebraucht wird. Manche wollen ja Hilfe nur in besonderer Form: dass ihnen jemand zuhört. Dann entdecken sie leichter, wie sie sich selbst helfen können. Gutmütigkeit kann innerlich aufreiben. Gut sein tut mir gut. Die eigenen Grenzen kennen auch.