Sterben lernen
Ich habe unserer kleinen Tochter aus ihrer Kinderbibel vorgelesen. Als wir zu der Geschichte von Jesu Tod am Kreuz kamen, fingen wir an, übers Sterben zu reden. Übers Sterben reden mit einer Dreijährigen – dabei habe ich mich richtig unwohl gefühlt. Trotzdem habe ich versucht, ehrlich zu antworten: Ja, alle Menschen sterben irgendwann. Ja, auch Kinder können sterben – aber das passiert nur ganz selten. Normalerweise stirbt man erst, wenn man sehr alt ist. Einen Moment lang war meine Tochter still, sah mich an und sagte dann: „Das mit dem Sterben hat die Uroma wohl noch nicht gelernt…“ Für sie war die Sache damit erledigt und die Legosteine wieder interessanter.
Sterben lernen – mir sind diese Worte nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Kann man das überhaupt? Es ist ja nichts, was man üben könnte. Aber wir lernen im Laufe unseres Lebens, dass wir Abschied nehmen müssen: Von Menschen, die wir lieben, von Freunden und Kollegen. Jeder Besuch auf dem Friedhof macht uns unsere eigene Sterblichkeit deutlich.
Vielleicht bedeutet sterben lernen, genau das anzunehmen. Wenn ich mir darüber bewusst werde, dass mein Leben nicht unendlich ist, möchte ich doch die Zeit, die mir bleibt, sinnvoll nutzen. Ich möchte, dass sich meine Mitmenschen gerne an mich erinnern. Ich werde dankbar, wenn ich erkenne: die Zeit, die ich hier auf der Erde verbringen darf, ist ein Geschenk Gottes an mich.
Wenn sterben zu lernen bedeutet, das Leben dankbar anzunehmen. Wenn es bedeutet, dass ich es deshalb mit Liebe fülle, dann – glaube ich – können wir nicht früh genug mit dem Lernen anfangen… auch wenn die Uroma meiner Tochter versprechen musste, sich noch einige Zeit dumm zu stellen.