hr4 ÜBRIGENS
hr4
Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Nichts ist ohne Hoffnung

Nichts ist ohne Hoffnung

Oma Rosi heißt nur Oma, ist aber gar keine. Sie hat weder Kinder noch Enkel, ist aber zufrieden mit sich. Sie wohnt ganz oben im Hochhaus und hat einen herrlichen Blick über die Stadt. Seit dreißig Jahren wohnt Oma Rosi dort. So lange ist sie Witwe. Das war entsetzlich damals, sagt sie. Plötzlich war sie allein. Hatte nur noch sein Grab. Und unendliche Trauer. Jeden Tag ging sie zur Arbeit, anschließend zum Friedhof. Bald hatte sie keine Tränen mehr, das Leben lebte sich automatisch, wie ein Uhrwerk. Als lebte sie neben sich her. Monate ging das so. Dann ist Ostern. Und Oma Rosi geht zur Kirche.

Dort hört sie etwas, was sie ärgert. Viel kriegt sie nicht mit in diesem Gottesdienst. Aber doch einen Satz, der ihr weh tut. Wenn Gott einen Toten auferwecken kann, sagt die Pfarrerin, dann ist nichts ohne Hoffnung; nichts auf der Welt, noch nicht einmal ein Grab. Doch, sagt Oma Rosi im Stillen und ärgert sich. Am Ausgang der Kirche ärgert sie sich immer noch, gibt der Pfarrerin nur flüchtig die Hand. Ich habe keine Hoffnung, sagt sich Oma Rosi. Und geht zum Friedhof. Wie fast jeden Tag. Manchmal spielen da Kinder, ganz leise. Einmal kommt ein Junge zu ihr. Der wohnt im gleichen Hochhaus und ist mit dem Papa auf dem Friedhof. Seine Mama ist gestorben, vor drei Jahren schon. Der Junge guckt Rosi von der Seite an, Rosi guckt zurück. Dann reden sie ein paar Worte. Eine Woche später reden sie wieder, ein paar Worte mehr. Und treffen sich auch im Hausflur. Oma Rosi schenkt ihm Schokolade, die sie für sich gekauft hatte. Der Junge sagt Danke, geht aber nicht weg. Sie stehen einfach da und sagen nichts. Auf einmal fragt der Junge: Soll ich dir mal mein Zimmer zeigen? Ja gerne, sagt Oma Rosi. Sie wird ein bisschen rot. Und weiß gar nicht, warum sie sich so freut. Als sie den Jungen besucht, bringt sein Papa Kaffee und Plätzchen. Der Junge führt seine Rennbahn vor, alle müssen lachen. Vergessen den Friedhof. Oma Rosi gewinnt sogar ein Rennen. Und etwas Hoffnung. So fing alles an damals, denkt Oma Rosi. Hoffnung kann so klein sein. Der Junge ist heute längst groß und hat eigene Kinder. Drei Mädchen. Die sagen auch Oma zu ihr.