hr4 ÜBRIGENS
hr4
Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

„Ich will, anstatt an mich zu denken…“

„Ich will, anstatt an mich zu denken…“

Ja, ich hatte etwas Mitleid mit Christian Wulff, wie er so dastand beim Großen Zapfenstreich. Etwas zu leblos feierlich, schmal und irgendwie verloren, als gehöre er da gar nicht hin. Um ihn herum war die Luft voller Lärm und Gerüchte: Ehrensold, Sekretärin und Fahrer, schuldig oder nicht schuldig? Und wenn schuldig, woran genau? Was will der Staatsanwalt von ihm? Das sind schwierige Fragen, die eigentlich nicht zu einem ehrenvollen Abschied mit großem Zapfenstreich gehören. Ein Lied aber gehört dazu, das ich gerne mag. Genauer noch ist es ein Gebet, das gesungen wird: Ich bete an die Macht der Liebe… In der ersten Strophe des Gebets gibt es eine Zeile, die müsste nicht nur Christian Wulff seltsam in den Ohren klingen, sondern vielen Menschen, mir auch. Da heißt es: Ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken.

Deutliche Worte. So ähnlich hat es Jesus oft gesagt. Ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken. Das wichtigste in meinem Leben bin nicht ich selbst, sondern meine Liebe zu anderen. Ich fürchte, dieser Satz ist nicht so beliebt. Womöglich wird er sogar immer unbeliebter. Viel mehr Menschen als früher meinen ja, in der Welt zu kurz zu kommen. Oder nicht das zu bekommen, was ihnen zusteht, angeblich. Dann greift man schon mal zu, wenn etwas da liegt. Oder vergisst zurückzugeben, was man sich genommen hatte. Es kommt ja nicht so drauf an, denkt man. Oder: Es merkt sowieso keiner.

Doch, einer merkt ziemlich genau, was gut ist und was nicht – und zwar mein Gewissen. Es schweigt nicht. Hält mir einen Spiegel vor. Auf dem steht: Das gehört sich nicht. Oder: Das darfst du nicht. Lass deine Finger davon, du könntest es bereuen. So spricht das Gewissen. Mit mir, mit Ihnen, mit Christian Wulff im Kloster. Mag sein, dass wir unser Gewissen lange nicht hören oder nicht hören wollen. Wenn es aber in unseren Ohren klingt, gibt es nur eins: nicht lange herum rudern und Ausreden suchen. Wenn ich ehrlich bin und Fehler gestehe, ist auch jemand da, der mir verzeiht. Dafür wird Gott sorgen. Mit seinem Meer der Liebe.