Wer pflegt, soll gesehen werden
Meine Eltern pflegen meine Oma täglich. Als ich eine kurze Zeit für sie eingesprungen bin, ist mir ein Satz wichtig geworden.
Ich sehe dich.
Der heißt: Ich sehe dich. Er ist so wichtig – nicht nur für die, die Hilfe brauchen. Sondern auch für die, die sich um kümmern. Weil die selbst andere brauchen. Die sie sehen. Die zeigen: Mir ist wichtig, wie es dir geht.
Wenn mich jemand sieht, gibt das neue Kraft. Wenn mich Menschen sehen. Oder auch: Wenn mich Gott sieht. Einer der ältesten biblischen Namen Gottes stammt von einer Frau. Sie sagte: Gott ist der, der sich nach mir umsieht. Sie hatte Gott so in ihrer Not erfahren: Gott, du siehst mich (1. Mose 16, 13).
Jeder Mensch möchte gesehen werden
Das brauchen Pflegende von anderen Menschen auch, dass sie gesehen werden. Das habe ich gespürt, als ich für eine Zeit für meine Oma da war. Sie ist schon über 90 und braucht Pflege. Vieles geht nicht mehr. Sie kann nicht mehr gut laufen. Sie bekommt ihren Alltag nicht mehr allein organisiert. Da braucht sie Unterstützung, wie viele Menschen in ihrem Alter. Sie hat das Glück, dass sie weiter zuhause wohnen kann. Meine Eltern wohnen mit ihr in einem Haus. Bei allem, was sie nicht mehr kann, stehen sie an ihrer Seite. Sie pflegen sie.
Bei Pflegenden stehen die eigenen Bedürfnisse oft hintenan
Ich habe erfahren, was das bedeutet, was das Behörden-Deutsch „pflegende Angehörige“ nennt. Es ist eine Aufgabe voller Liebe und voller Belastung. Es bestimmt den ganzen Alltag und raubt auch Kraft. Die eigenen Bedürfnisse geraten oft in den Hintergrund. Da ist es gut, wenn man selbst unterstützt wird. Wenn jemand wahrnimmt, was man alles gibt und so etwas von der Last abnimmt.
Wer genau hinsieht, erkennt: In einer Gesellschaft, die altert, reichen die Unterstützungssysteme oft nicht aus. Viele pflegende Angehörige tragen eine immense Last auf ihren Schultern, ohne immer den Beistand zu bekommen, den sie brauchen. Sie sind im Dauereinsatz, oft ohne Pause, ohne klare Grenzen. Das Gefühl wächst - eigene Wünsche, Träume und Bedürfnisse bleiben auf der Strecke. Sie fühlen sich allein gelassen. Deswegen ist ein genaues Hinschauen auf die, die pflegen, für mich ein wichtiges Anliegen. Da braucht es politisches Handeln, ganz klar.
Beim Pflegen ist es wichtig, auch an sich zu denken
Es braucht genauso aufmerksame Menschen. Was können sie tun? Ein offenes Ohr für die, die pflegen - für deren persönliche Belange. Ein guter Anfang ist die ernsthafte Frage: Wie geht es Dir, was bewegt dich? Ich habe erfahren, dass man Ideen entwickeln kann, wie es möglich ist, auch mal eine Runde zu gehen oder mal abends zum Chor-Konzert. Es gibt aufmerksame Nachbarn, die ohne große Fragen einspringen, wenn eine Ruhepause dringend nötig ist. Pflegende sind Menschen mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen. In allem, was sie für jemand anderen geben, brauchen sie ein klares und deutliches: Ich seh‘ dich!