Schön, stark, mutig
„Ich bin ein Profi in Technologie.“ „Wenn Sie meine Steuererklärungen sehen … werden Sie von meiner Arbeit sehr beeindruckt sein. Viel, viel größer, viel besser als jeder andere.“ „Niemand hat mehr für euch getan als ich.“
Wer so spricht, erstaunt mich. Wie kann Superlative beanspruchen… am größten, am besten, am schlausten… ?
„Ich bin der schönste Mann in unsrer Mietskaserne“
Ein alter Schlager fällt mir ein, von Dieter Hallervorden: „Ich bin der schönste Mann in unsrer Mietskaserne“. Jedem war klar: Das ist Humor. Man sah Hallervorden auf dem Plattencover mit Lockenwicklern in den wenigen langen Haaren und nur halb rasiert.
Im Christentum gibt es eine Tradition, die das Gegenteil ausdrückt: „Ich armer sündiger Mensch habe nichts als Zorn verdient“. Auch da geht es um Extreme. Nur ist der Mensch hier nicht extrem gut, sondern extrem schlecht. Als „ganz verderbt“ wird er bezeichnet oder sogar als „Wurm“.
Bekenntnis zur Schuld und radikale Vergebung
Beim Gottesdienst ist das okay für mich. Da gibt es das Bekenntnis zur Schuld „in Worten, Werken und Gedanken“ – in allem also, aber darauf folgt der Zuspruch einer genauso radikalen Vergebung.
Im Alltag schadet es, wenn den Menschen suggeriert wird: Ihr seid von Grund auf schlecht. Denn da fehkt der Zuspruch oft. Minderwertigkeitskomplexe sind eine weit verbreitete Störung. Menschen können krank werden, wenn sie glauben, nicht gut genug zu sein.
Überzogene Selbstdarstellung oder überspielte Minderwertigkeitsgefühle?
Denkbar auch, dass Selbstbeweihräucherungen wie die Zitate eben nichts anderes sind als überspielte Minderwertigkeitsgefühle. Da muss einer selbst sagen, dass er gut ist, stark und mutig, weil er es nötig das zu hören, weil es ihr kein anderer sagt.
Aber der Glaube an einen mit Superlativen belegten Gott "Allmächtig! Allgegenwärtig!" … müsste der nicht ein idealer Nährboden für meine Minderwertigkeitsgefühle als kleiner Mensch sein?
Gott macht sich klein
Nicht, wenn ich genauer hinschaue: Gott begegnet den Menschen in Jesus. Er stirbt nicht nur den jämmerlichen Foltertod eines Verbrechers. Zu seiner unehelichen Geburt hatte es unterwegs nur zu einem Stall gereicht. Die Familie floh nach Ägypten. Heute wäre Jesus damit einer von ca. 9 Millionen Geflüchteten dort.
Der Größte macht sich klein und stellt sich auf eine Stufe mit Bettlerinnen, Heimatlosen und armen Sündern. Es gibt vor ihm keinen Grund, sich selbst groß oder klein zu machen.
Wenn wir allenfalls in Teilbereichen Profis sind, unsere Arbeit nicht immer beeindruckend ist und wir auch sonst nicht zur Höchststufe taugen, wenn wir es nicht oft hören, aber vielleicht mal gebrauchen könnten, es zu hören: Du bist schön, stark, mutig, dann sagt Gott: Du bist mir wichtig, wie du bist!