Zweifeln gehört dazu
Mein Vater ist über 80 Jahre alt, und vieles klappt nicht mehr so wie früher: Aufstehen, Gehen, Anziehen, alles ist mühsam. Und auch sein Glaube ist nicht mehr so wie früher. Er sagt: „Bis vor kurzem hatte ich noch meinen Kinderglauben, jedenfalls ein bisschen, aber der ist jetzt flöten gegangen.“
Der feste Glaube ist ins Wanken geraten
Mein Vater hatte eine fromme Mutter, die ihm den christlichen Glauben mitgegeben hat. Sein ganzes Leben lang ist er regelmäßig in die Kirche gegangen. Sein Beruf als Kunsthistoriker hat ihn immer wieder mit Kirche und Glauben in Berührung gebracht. Sein Fachgebiet ist Sakralbau im Mittelalter, also vor allem Kirchenbau. Eigentlich hatte er einen festen Glauben. Jetzt sagt er: „Ich würde ja gern häufiger beten, aber irgendwie gelingt es mir nicht mehr so richtig.“
Ich kann meinen Vater gut verstehen. Auch in meinem Leben gab und gibt es immer wieder Phasen des Zweifels. Manchmal fühle ich mich Gott nah, manchmal ist Gott weiter weg.
Ist Zweifeln erlaubt?
Schon als Jugendliche habe ich manchmal daran gezweifelt, ob es Gott gibt. Damals habe ich Briefe mit Fragen an meinen Religionslehrer geschrieben, auch mit Fragen wie: Glaube ich eigentlich richtig, wenn ich zweifle? Warum geht das Beten so schwer? Warum spüre ich Gott nur so selten?
Der Religionslehrer hat mir geantwortet, wie er Glauben versteht. Einmal hat er geschrieben: „Jesus selbst hat sich am Kreuz von Gott verlassen gefühlt. Jesus hat nicht mehr gespürt, dass Gott da ist. Wenn ich also daran zweifle, ob es Gott gibt, dann teilt Jesus mit mir dieses Gefühl. Wenn selbst Jesus diese Erfahrung gemacht hat, so darf auch ich zweifeln. Glauben heißt nicht, ständig sicher und gewiss zu sein. Glauben ist eine ernsthafte Beschäftigung mit Gott. Da gehört alles dazu, was in der Beziehung zu Gott stattfindet: Freude, Jubel, Klage, Frage, Zweifel, Suche…“. Soweit der Brief von meinem Religionslehrer.
Auch Jesus hat an Gott gezweifelt
Diese Zeilen haben mich damals von großem Druck befreit. Jesus hat an Gott gezweifelt. Sein Schmerz, seine Verzweiflung bleiben ungetröstet. Jesus fühlt sich einsam. Für mich heißt das: Jesus teilt mein Scheitern, meine Schwäche, meine Zweifel, meine Einsamkeit mit mir. Fragen und Zweifeln gehören für mich zum Glauben dazu.
"Gott, hilf mir beten!"
Ich möchte lernen, ehrlich mit mir selbst zu sein. Es bringt niemandem etwas, so zu tun, als sei ich sicher im Glauben, wenn ich doch weiß, dass es anders ist. Auch Gott möchte sicher nichts vorgespielt bekommen. Ob man trotzdem beten kann, mitten im Zweifel? Mit meinem Vater überlege ich zusammen, wie das gehen kann. Wir suchen nach Worten. Vielleicht so: „Gott, ich weiß nicht, ob du da bist. Ich zweifle. Ich suche dich, aber ich kann dich nicht spüren. Zeig dich mir deutlicher. Hilf mir beten!“ Das wäre doch ein ehrlicher Anfang.