hr2 MORGENFEIER
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Hieke, Prof. Dr. Thomas

Ein Sendung von

Professor für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

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Elija – niemals aufgeben

Ich gewinne gern – bei Gesellschaftsspielen zum Beispiel. Im Sommerurlaub waren wir in den Dolomiten wandern, und abends auf der Berghütte kamen die Karten auf den Tisch: Wir haben das beliebte „Hornochsen“-Spiel gespielt. Als ich nach einigen Runden die wenigsten „Hornochsen“ und damit gewonnen hatte, habe ich mich sehr gefreut. Irgendwie schön, zu gewinnen. Aber dann auch irgendwie seltsam.

Wozu denn all die Mühe?

Als ich mich jetzt wieder daran erinnert habe, bin ich etwas ins Grübeln gekommen. Mir geht es nämlich auch außerhalb des Spielens, in meinem Alltag ähnlich: Wenn ich es schaffe, in einer Besprechung meinen Punkt durchzusetzen, wenn ich andere Positionen dabei als weniger gut entlarve, wenn ich rhetorisch geschickt das Gremium mehrheitlich auf meine Seite bringe – dann freue ich mich. Super, gewonnen. Aber ist das immer so sinnvoll? Ist immer nur das Gewinnen das Ziel? Manchmal geht es dann auch nach hinten los, und mein vermeintlicher Sieg über die Positionen der anderen erweist sich im Nachhinein als wenig hilfreich. Oder es wird dann hinterher doch etwas anderes gemacht, als ich vorgeschlagen hatte. Ich bin dann frustriert und denke mir: Wozu all die Mühe? Es hört ja doch keiner auf mich.

Eine biblische Figur voller Gegensätze

Nicht immer geht es dabei um Kleinigkeiten, manchmal wirft mich dieses Immer-Gewinnen-Wollen ganz schön aus dem Gleichgewicht. Weil ich mich beruflich mit dem Alten Testament befasse, fällt mir dazu der Prophet Elija ein: eine biblische Figur voller Gegensätze. Zuerst noch der Sieger, der seine Gegner in die Pfanne haut – und dann gleich der Frustrierte, der sich den Tod wünscht. Felix Mendelssohn-Bartholdy hat über den „Elias“ ein Oratorium geschrieben, das 1846 uraufgeführt wurde. Mendelssohn war von den Erzählungen über diesen Propheten fasziniert. Im 8. Jahrhundert vor Christus hat Elias oder Elija von Gott die Aufgabe bekommen, das Volk Israel von der Verehrung anderer Götter, vor allem des Gottes Baal, abzubringen. 

Mit dieser Androhung an das Volk startet das Oratorium

Das Volk Israel soll nur den einen Gott verehren, den die Bibel mit den vier Buchstaben Jot-Ha-We-Ha bezeichnet. „Jah“- die erste Silbe des Gottesnamens hat Elija im eigenen Namen, und Eli heißt „Mein Gott“ – also sagt schon der Name des Propheten „Mein Gott ist Jah“ – Eli-jah. Im Griechischen und Lateinischen wird daraus Elias. Elija verkündet im Auftrag Gottes: Es soll nicht mehr regnen, bis es der Prophet sagt, also bis das Volk umkehrt und nur noch seinen Gott Jah verehrt. Mit dieser Ankündigung oder Androhung an das Volk startet das Oratorium „Elias“ von Mendelssohn. [2:50]

Musik 1: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Elias, Erster Teil: Einleitung, Basso solo „So wahr der Herr“ (CD: Felix Mendelssohn-Bartoldy, Elias (Oratorium), Gächinger Kantorei/Bach Collegium Stuttgart, Helmuth Rilling, Brilliant Classics 99174. Disc 1, Track 01 [0:55]) 

Es geht hier um alles

Wenn ihr nicht auf mich hört, wird Gott es nicht regnen lassen! Mit der Botschaft des Propheten Elija an das Volk Israel startet das Oratorium von Mendelssohn. Und damit eskaliert der Konflikt: Welchen Gott soll das Volk Israel verehren? Sollen die Israeliten neben dem Gott der Vorfahren, Jot-Ha-We-Ha, Jah, auch noch die Gottheit Baal verehren? So, wie es der König und vor allem die Königin Isebel wollen? Oder hat Elija recht: Nur Jot-Ha-We-Ha, Jah, der Gott Israels, der Herr, ist der einzige Gott für Israel? Es geht hier um sehr viel, eigentlich um alles. Und Elija setzt tatsächlich alles auf eine Karte. Er schlägt einen Wettbewerb auf dem Berg Karmel vor: Die Propheten des Baal sollen einen Altar für ihren Gott bauen.

"Lauter, vielleicht schläft euer Baal"

Elija selbst will einen Altar für seinen Gott Jah bauen, für den Herrn, wie er in unseren Bibelübersetzungen heißt. Und dann soll die wahre Gottheit selbst das Opferfeuer anzünden. Eine dramatische Szene: Zwei Altäre, zwei geschlachtete Stiere auf dem Brennholz, zwei Götter. Welcher Gott entzündet sein Opferfeuer? Die Propheten des Baal lassen sich darauf ein und dürfen anfangen. Wild tanzen sie in Ekstase um ihren Opferaltar. Elija spottet: Lauter, vielleicht schläft euer Baal! Doch alles Schreien und Tanzen bringt nichts, der Altar bleibt kalt. Kein Feuer, nichts. Elija dagegen lässt um den Altar, den er gebaut hat, sogar noch einen Graben ziehen und Wasser hineinschütten. Wir hören zuerst aus dem 18. Kapitel des ersten Buches der Könige und dann von Mendelssohn, was hier passiert: 

 

36 Zu der Zeit nun, da man das Speiseopfer darzubringen pflegt, trat der Prophet Elija an den Altar und rief: Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Israels, heute soll man erkennen, dass du Gott bist in Israel, dass ich dein Knecht bin und all das in deinem Auftrag tue. 37 Erhöre mich, Herr, erhöre mich! Dieses Volk soll erkennen, dass du, Herr, der wahre Gott bist und dass du sein Herz zur Umkehr wendest. 38 Da kam das Feuer des Herrn herab und verzehrte das Brandopfer, das Holz, die Steine und die Erde. Auch das Wasser im Graben leckte es auf. 39 Das ganze Volk sah es, warf sich auf das Angesicht nieder und rief: Der Herr ist Gott, der Herr ist Gott! (1 Kön 18,36–39) [2:41]  

 

Es bleibt ein schaler Nachgeschmack

Musik 2: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Elias, Erster Teil, Recitativo und Chor „Der du deine Diener“ (CD: s.o., Disc 1, Track 18 [3:04, ACHTUNG: bei 2:43 ausblenden und das letzte Recitativ weglassen!]) 

Welch ein Triumph! Ein Sieg auf der ganzen Linie. Der Prophet Elija hat mit der Hilfe seines Gottes seine Gegner und Konkurrenten völlig besiegt und vernichtet – und das Volk für seinen Gott Jah, den Herrn, gewonnen. Elija hat ein Wunder herbeigeführt: Feuer ist vom Himmel gefallen und hat das Opfer-Brennholz angezündet. Ist der Beweis nicht überwältigend?

Da bin ich wieder mit meinen Erfahrungen: Meine Gewinner-Situationen, in denen ich über alle anderen triumphiert habe und meine Sache durchgesetzt habe, knallhart, wie Elija. Großartig, great. Great again? Ein schaler Nachgeschmack bleibt! 

Sein Triumph hinterlässt bei mir Bedenken

Ich erinnere mich, dass nicht immer alles danach klar und lupenrein, gut, einfach super war. Fragen bleiben. Wenn ich der Gewinner bin – wer sind die Verlierer, wer bleibt auf der Strecke? Warum kann es nicht immer so sein, dass ich obenauf bin? Zahlt sich mein Gewinnen wirklich aus oder läuft hinterher doch alles anders?

Elijas Triumph hinterlässt bei mir Bedenken und Zweifel. Die biblische Erzählung schürt diese Zweifel weiter. Denn Elija bleibt nicht der machtvolle Gottesmann und Siegertyp. Mitnichten sind seine Gegner völlig vernichtet. Zunächst ist der König überzeugt, und Gott beendet die lange Dürre mit einem mächtigen Regen – Gott lässt also nicht nur Feuer, sondern auch lebensspendenden Regen vom Himmel fallen. 

Der triumphale Prophet ist am Ende

Aber die Königin Isebel ist keineswegs überzeugt. Sie ist noch immer ein Fan von Baal und droht Elija Verfolgung und Tod an. Alles umsonst, der ganze Aufwand, das Feuer-und-Wasser-Wunder. Elija muss fliehen und läuft einen Tag in die Wüste hinein. Er legt sich unter einen Ginsterstrauch und wünscht sich, er wäre tot. Absturz, Frustration, Burn-out, Angst, Sterben-Wollen: Elija, der triumphale Prophet, ist am Ende. Doch dann rettet der ewige Gott seinen Propheten auch aus dieser Tiefe. Wir hören das wieder zuerst aus der Bibel, aus dem 19. Kapitel des ersten Buches der Könige – und dann aus dem Elias-Oratorium.

Elija legte sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein. Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! 6 Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin. 7 Doch der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich. 8 Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb. (1 Kön 19,5–8) [2:46]

Musik 3: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Elias, Zweiter Teil, „Hebe deine Augen auf“ (CD: s.o., Disc 2, Track 8 [1:22], und „Stehe auf, Elias“, Track 10 [1:46]) 

Hebe deine Augen auf zu den Bergen …

Gerade haben wir noch die Klage des Propheten gehört und seinen Todeswunsch, „dass meine Seele stürbe“. Aber die Engel, die den Propheten retten, sind schon bereit. Elija findet frisches Brot und einen Krug Wasser – nichts Selbstverständliches in der Wüste, aber Lebensmittel, die zum Weiterleben helfen. Mit Brot und Wasser geht es weiter, sogar durch die Wüste. Woher kommt die Hilfe? Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von welchen dir Hilfe kommt, deine Hilfe kommt vom Herrn – so singen die Engel. Und beim Bergwandern singen das ab und zu die Menschen, mit denen ich wandere. Passt ja auch, wenn wir in den Alpen unterwegs sind. Daran muss ich mich erinnern, wenn ich – wie Elija – mal wieder frustriert bin, weil nichts funktioniert und keiner auf mich hören will. Hebe deine Augen auf zu den Bergen …

"Ich bin ja nicht alleine"

Elija ist ein frustrierter und gescheiterter Verkündiger: Er ist mit Leidenschaft für den ewigen Gott als einzigem Gott eingetreten, hat gepredigt und verkündet, den Leuten ins Gewissen geredet, dem König die Warnungen Gottes ins Gesicht gesagt. Doch selbst nach seinem Schau-Wunder auf dem Berg Karmel glauben ihm viele wichtige Leute immer noch nicht. Aber Gott stärkt seinen Propheten: Elija bekommt Brot und Wasser, und in der Kraft dieser Speise kann er lange wandern, um Gott selbst am Berg Horeb zu treffen.

Ich frage mich: Was ist für mich diese Speise, die mich stärkt, die mir wieder Hoffnung gibt? Was können dieses in glühender Asche gebackene Brot und der Krug Wasser heute für mich sein? Es hilft mir tatsächlich, wenn ich ab und zu im Trubel des Alltags innehalte und still werde: Ich bin ja nicht allein, da ist ja doch Gott, auf den ich vertrauen kann. Und da sind liebe Menschen, wie Engel, die mich trösten oder mit mir schweigen und mich wiederaufrichten. Auch im Elias-Oratorium von Mendelssohn kommt eine leise Aufforderung: Sei stille dem Herrn – verbunden mit dem Vertrauen, dass Gott das eigene unruhige Herz trösten wird. [2:14]

Musik 4: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Elias, Zweiter Teil, Aria, „Sei stille dem Herrn“ (CD: s.o., Disc 2, Track 11 [3:36])

Wird Gott auch heute noch die Propheten retten?

Die Musik aus Mendelssohns Oratorium „Elias“ ist sehr tröstlich, und dennoch frage ich mich: Wird Gott, der Ewige, auch heute noch die Propheten retten, die seine Warnungen verkünden? Ich denke da zum Beispiel an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die vor dem Klimawandel warnen und uns zu einer nachhaltigeren Lebensweise aufrufen. Sie bekommen dafür oft genug Ärger. Wird Gott mich, wenn ich frustriert und verzweifelt bin, weil die Gewalt und der Krieg überhandnehmen, retten? Wenn Menschen für Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen, wenn sie für den Klimaschutz demonstrieren und diskutieren, und dann verzweifeln, weil es viele immer noch nicht einsehen wollen, was auf dem Spiel steht – wird Gott retten? 

Wenn mir wieder mal die Kraft ausgeht...

Ja, das ist meine Hoffnung. Und ich bin mit dieser Hoffnung nicht allein, wenn ich mich umschaue. Da sind – eigentlich – viele. Die Geschichte von Elija ist auch eine Geschichte vom „Nicht aufgeben!“ Elija geht weiter. So gehe auch ich weiter, wie beim Bergwandern, auch wenn’s steil und mühsam wird, denn ich bin auch nicht allein, da sind viele mit dabei, vor mir, hinter mir. Der Gedanke an die Rettung des Elija gibt mir auch heute noch Kraft. Ich nehme mir folgende Übung vor: Wenn mir wieder mal die Kraft ausgeht, wenn ich Zuversicht nötig habe, vielleicht sogar jetzt und heute, dann hole ich mir etwas Brot und ein Glas Wasser. Und ich kaue das Brot ganz bewusst und trinke langsam das Wasser. Und hebe meine Augen auf zu den Bergen, denn die Hilfe kommt von Gott und den Menschen, denen ich vertraue. [1:47]

Musik 5: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Elias, Zweiter Teil, Schlusschor, „Alsdann wird euer Licht“ (CD: s.o., Disc 2, Track 22 [3:02, fade out möglich])