hr2 ZUSPRUCH
hr2
Flicker, Steffen

Eine Sendung von

Schulleiter der katholischen Schule Marianum Fulda und Vorsitzender des Katholikenrates im Bistum Fulda

00:00
00:00

Sich einig sein

„Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ – so heißt es in unserer Nationalhymne, die am heutigen Tag der Deutschen Einheit bei zahlreichen Veranstaltungen wieder gesungen wird. Was war das für ein glücklicher Tag – dieser 3. Oktober 1990: Deutsche Wiedervereinigung. Ost und West wachsen wieder zu einem gemeinsamen Staat zusammen. Ein Tag der Freude und ein Tag des Dankes.

Dieser Feiertag heißt „Tag der Deutschen Einheit“. Aber wie sieht es eigentlich aus mit dieser Einheit? Sind sich die Deutschen in Ost und West einig? Oder ist das nur ein Wunschbild, ein Ideal?

Wenn ich mich mit anderen Menschen einig sein möchte, dann muss ich mich um Verständigung bemühen. Das kann auch voraussetzen, dass ich einen Schritt auf andere Menschen zumache. Dass ich mich darum bemühe, eine Brücke zu meinem Gegenüber zu bauen. Nicht nur zwischen Ost und West.

Wo finde ich heute diese Einigkeit? Ist sie im Laufe der Jahre verloren gegangen? Oder war sie nie wirklich da?

Wenn ich mich allerdings in unserer Gesellschaft so umsehe und die Nachrichten aufmerksam zur Kenntnis nehme, fällt mir auf, in wie vielen Fällen sich Menschen eher nicht einig sind. Oft wird eher das Trennende zwischen Meinungen und Auffassungen hervorgehoben als das Gemeinsame. Dabei ist das Bild von der Einheit sehr schön. Es drückt Harmonie aus. Und nach Harmonie sehnen sich viele Menschen. Ein uraltes Verlangen in der Menschheitsgeschichte.

Es lebt sich angenehmer und friedlicher in einer Welt der Einigkeit. Aber hat es jemals eine solche Welt gegeben? Wann waren sich alle Menschen einig? Wie oft bin ich überhaupt mit mir selbst einig? Und dennoch beschreibt dieses Wort „Einheit“ ein anzustrebendes Ziel. Wie traurig wäre es um mich bestellt, wenn ich mich gar nicht um Verständigung mit anderen Menschen bemühen würde. Ich würde irgendwann ziemlich alleine durch die Welt irren.

In der Bibel ist immer wieder die Rede von der Einmütigkeit. So zum Beispiel die Aufforderung von Paulus: „Seid einmütig untereinander. Strebt nicht hoch hinaus und seid euch auch für geringe Aufgaben nicht zu schade. Hütet euch davor, auf andere herabzusehen.“ Damit sind große Ziele beschrieben: Einmütig untereinander zu sein. Nicht hoch hinaus zu streben. Nicht auf andere hinabzusehen. Auch für geringe Aufgaben bereit sein.

Untereinander einig zu sein, ist Vorsatz für diesen bedeutungsvollen Tag

Wenn das alles immer so einfach wäre. Gerade heute, am Tag der Deutschen Einheit, finde ich es aber lohnenswert, über diese Ziele nachzudenken. Wie weit sind wir mit der Einigkeit? Wie weit entfernt davon? Vielleicht fange ich einmal mit kleinen Schritten an. Zum Beispiel einem Menschen, der nicht meiner Meinung ist, überhaupt einmal zuhören. Ich muss nicht des lieben Friedens willen meine Meinung aufgeben und andere Auffassungen übernehmen. Aber Verständnis füreinander entwickeln – das ist für mich ein erster Schritt. Das nehme ich mir vor: an diesem Tag der Deutschen Einheit.