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Spory, Dr. Anke

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg-Gonzenheim

Muße braucht ungejagte Zeit

Muße braucht ungejagte Zeit

Wieder einmal die gleiche Diskussion mit meinem Sohn. Wieder einmal ist es Wochenende. 12 Uhr mittags und mein Sohn lungert immer noch im Schlafanzug rum. Wieder einmal wiederhole ich mich: „Konrad, du könntest dich aber wirklich langsam mal anziehen.“ Aber auch die Antwort ist immer die gleiche: „Mama, du weißt doch, einen Tag im Schlafanzug am Wochenende brauche ich einfach.“

Irgendwann habe ich es verstanden: Konrad will einen Tag, an dem er nichts machen muss. Einen Tag, der anders ist als die übrige Woche. Einen Tag, ganz zum Ausruhen. Und der Inbegriff dieses Nichtstuns ist der Schlafanzug! Darin kann er sich in den Tag hinein treiben lassen und nur das tun, wozu er Lust hat.

Muße- das alte Wort, die alte Tugend. Das ist es, was mein Sohn einfordert. Eine Zeit, gekennzeichnet durch Nichtstun. Eine Zeit, die nicht effizient verwendet und geplant wird, sondern die frei ist. Das Wort Muße geht auf ein altes germanisches Wort zurück und meint: „ich kann, es ist mir möglich“. Damit ist ihr Kern erfasst: Was ich tue ist frei von Zweck und Effizienz. Wer mit Muße im Wald spazieren geht, will nicht möglichst viele Kilometer schaffen. Wer mit Muße ein Instrument spielt hat einfach Freude am Klang.

In der Schöpfungsgeschichte ganz am Anfang in der Bibel wird erzählt: Gott hat sich ausgeruht am siebten Tag. Gott sah, dass es gut war- mit diesen Worten wird jeder einzelne Schöpfungstag abgeschlossen. Der siebte Tag wird sogar gesegnet und dann heißt es, Gott ruhte am siebten Tag von allen seinen Werken. Es ist gut so, wie es ist. Mich inspiriert die Schöpfungsgeschichte, mir Zeit zu nehmen für Ruhe und Entspannung. „Muße braucht ungejagte Zeit“, so sagt es der Theologe Fulbert Steffensky. Ja, es tut gut, sich einmal nicht jagen zu lassen von einem vollen Terminkalender oder von der Frage, ob ich genug geschafft habe oder was alles noch zu tun ist.

Es ist gut, so wie es ist. Ich will dies künftig öfters sagen können. Und weniger danach fragen, wie schnell und gut ich etwas hinbekomme. Und zugleich bin ich auch ein bisschen neidisch auf die Selbstverständlichkeit, mit der mein Sohn seinen Anspruch auf Muße angemeldet hat. Wer voll in den Zwängen des Beruflebens steht, neigt vielleicht eher dazu, dem anderen einfach Faulheit zu unterstellen. Weil man sich selber so einen Ausstieg aus der Jagd gar nicht erst gestatten will. Dabei ist der Unterschied so einfach: Zeit zur Muße nimmt man sich bewusst. Faulheit ist eine Dauer-Erscheinung. Konrad zumindest kann ich seine ungejagte Zeit mittlerweile viel besser zugestehen. Weil ich weiß, wir alle brauchen solche Zeiten der Ruhe und des Müßiggangs.