Trinkpaten
Frau Müller ist Trinkpatin. Ich kenne sie aus dem Pflegeheim, in dem ich Gottesdienste halte. Sie besucht oft ihre Schwester, die dort wohnt. Trink-Patin – das kannte ich noch nicht. Sie hat mir erzählt: „Wenn es richtig heiß ist, kümmere ich mich um sie und noch um andere Bewohnerinnen, die nicht mehr allein trinken können. Oder die das Trinken schlichtweg vergessen.“ In Zeiten des Klimawandels werden ehrenamtliche Trinkpatinnen und -paten immer wichtiger. Es gibt sie schon in mehreren Altenheimen, wo sie die Pflegekräfte unterstützen sollen, denn: Jeder Schluck braucht Zeit. Zeit, die Pflegekräfte oft nicht haben.
Dabei ist beides lebenswichtig: Wasser und persönliche Ansprache. Wo eines von beiden fehlt, ist das Leben bedroht. Als Mensch hat man ja nicht nur Durst nach frischem Wasser, sondern auch Durst im übertragenen Sinn. Nach Zuwendung, nach Nähe. Jesus wusste, dass man beides braucht. Deshalb hat er gesagt: „Wer Durst hat, komme zu mir und trinke.“ Viele Menschen, die mit Jesus in Berührung kamen, konnten in seiner Nähe ihren Durst nach Leben stillen. Und er ermutigte die Menschen, die Liebe, die sie bei ihm erfahren haben, nicht für sich zu behalten. Er fand dafür ein außergewöhnliches Bild: „Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Also nicht nur den Durst gestillt bekommen, sondern Quelle für andere sein. Nicht nur trinken, sondern anderen zu trinken geben. Nicht nur Leben empfangen, sondern Leben erhalten und weitergeben.
Das tun die Trinkpaten. Nicht nur in Altenheimen, sondern auch bei Menschen, die zu Hause gepflegt werden. Das sind zwei Drittel aller Pflegebedürftigen in Hessen. Für sie hat zum Beispiel der Pflegedienst von der Caritas-Sozialstation in Oberursel ein Trinkpaten-Programm. Neben den hauptamtlichen Pflegekräften leisten hier Ehrenamtliche für alte Menschen in der Nachbarschaft diesen Dienst. Die Leiterin sagt: „Wir haben uns einiges einfallen lassen, um unsere Klienten zum Trinken zu animieren“. So sind zum Beispiel Trinkinseln mit Getränken in den Wohnungen eingerichtet an Orten, an denen die Senioren tagsüber oft vorbei kommen. Da manche alte Menschen nicht gerne Wasser trinken, finden die Trinkpaten zusammen mit ihnen heraus, was sie lieber hätten. Vielleicht eine Saftschorle oder auch Apfelwein – den ohne Alkohol natürlich. Die Leiterin erzählt weiter: „‘Prost‘ ist so etwas wie ein Zauberwort. Auch schwer Demenzkranke heben automatisch das Glas und trinken, wenn man ihnen zuprostet.“ Es muss nur jemand da sein, der sich Zeit nimmt und die alten Menschen anspricht.
Ohne Wasser gibt es kein Leben, und ohne menschliche Zuwendung auch nicht. Jesus hat das gewusst und wohl deshalb dieses Bild gebraucht: „Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Wer sich auf Jesus und seine Liebe einlässt, für den wird es keine Frage sein, diese Liebe weiter zu geben. Wie die Trinkpaten in Oberursel. Wo Menschen so füreinander Verantwortung übernehmen, fließen im wahrsten Sinne des Wortes Ströme lebendigen Wassers.