Tage wie diese
Tage wie diese sind schwer, sagt mir eine Frau. Tage wie diese, damit meint sie den Todestag ihres Mannes. Vor sieben Jahren ist er gestorben. Sie erzählt: Ich habe nach dem Tod meines Mannes erst langsam wieder in meinen Alltag gefunden, jetzt kann ich oft wieder lachen. Aber an seinem Todestag bricht alles wieder auf. Alte Erinnerungen kommen hoch, ich denke an das, was wir noch vorhatten. Es ist wie eine Wunde, die wieder aufbricht und schmerzt. Und, sie erzählt weiter, was auch so schlimm ist an diesem Todestag: Selbst viele meiner Freundinnen können es nicht mehr verstehen, dass ich so traurig bin an diesem Tag. Sie meinen, es sei doch jetzt schon ziemlich lange her.
Tage wie diese sind schwer. Den alten Wunden so schmerzhaft ausgeliefert zu sein, die Gefühle liegen bloß, man fühlt sich ungeschützt. Manchmal spürt man gerade an solchen Tagen, wie durchlässig, wie zerbrechlich man ist. Ein Sprichwort sagt: Die Zeit heilt alle Wunden. Das stimmt manchmal, aber es stimmt nicht immer. Es gibt Wunden, die mit der Zeit heilen, es gibt aber auch Wunden, die immer wieder aufbrechen.
Um diese ganzen Gefühle zuzulassen, braucht es Zeit und Raum. Es kann hilfreich sein, diesen besonderen Tagen bewusst eine Form zu geben, damit die Traurigkeit einen Raum hat. Für die einen ist an solchen Tagen ein Spaziergang wohltuend, im Laufen können die aufwühlenden Gefühle zur Ruhe kommen. Für andere ist es der Gang auf den Friedhof oder in die stille Kühle einer Kirche. Oder es ist die Begegnung mit einem Menschen, der die eigenen Tränen und das Schweigen aushält, der mit hindurch geht durch diesen dunklen Tag.
Trauer hat heilende Kraft, so hat das der Theologe Jörg Zink einmal gesagt. Er meint damit: nur wenn ich meine Traurigkeit zulasse, wenn ich mich ihr aussetze, dann kann sich die Trauer auch verändern. Klagen und Trauern, den eigenen Fragen einen Raum geben, das ist in unserer Gesellschaft fast ein Tabu. Weinen wird oft als ein Zeichen von Schwäche gesehen. Wenn man einen Menschen verloren hat, dann haben viele das Gefühl, die anderen erwarten von ihnen, dass sie möglichst schnell wieder ganz normal im Alltag funktionieren. Ja, und manchmal haben sie sogar selbst den Anspruch an sich, dass die Trauer ihr Leben nicht mehr so sehr bestimmen soll. Aber: Trauer ist ein notwendiger Prozess. Er kann sogar Jahre dauern.
Den Schmerz achtsam in den Blick zu nehmen, ihm Raum und Zeit zu geben kann heilsam sein. Nicht gelebte Trauer kann krank machen und am Leben hindern. Trauer ist etwas sehr Lebendiges, es ist eine Seelenarbeit, die sich bemüht anzunehmen, was geschehen ist. In diesem Annehmen, was geschehen ist, liegt ihre heilende Kraft. Denn das heißt ja: Das Leben mit dem Verlust auf eine neue Art leben zu können. Und es heißt auch: sich trotz des Verlustes wieder lebendig zu fühlen und sich freuen dürfen. Wenn Menschen ihre Tränen zulassen können, dann wird die Seele wieder weiter und weicher. Jörg Zink schreibt: Man muss das Land der Vergangenheit erwandern, hin und her, bis der Gang über die Brücke auf einen neuen Weg führt.