Samenkorn der Erinnerung
Ich stelle mir manchmal vor, dass mein Herz einem Ackerboden gleicht. Alles, was einen Eindruck bei mir hinterlässt, ist wie ein Samenkorn, das in diesen Ackerboden fällt. Wenn ich zum Beispiel Menschen in ihrer Trauer begleite, dann ermutige ich sie: Nehmen Sie die Eindrücke in den Blick, die der Mensch, um den sie trauern, bei Ihnen hinterlassen hat. Es ist doch so: Wo mich jemand durch seine eigene Art beschenkt hat, da lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Was war es, das mir so gut getan hat?
Diese schönen und hilfreichen Erfahrungen sind wie kräftige Samen, die ich in meinen inneren Ackerboden pflanzen kann. Ein Samenkorn kommt von einer Pflanze, die in der Vergangenheit geblüht hat. Der Same verwandelt sich im Ackerboden zu einer neuen Gestalt. Es ist eine neue Pflanze, auch wenn sie der alten Pflanze ähnlich sieht. Sie erinnert an die alte. Für jemand, der trauert, bedeutet das: Die guten Erfahrungen mit dem Menschen sind zwar einmalig, und sie sind vergangen, wenn er gestorben ist. Aber es können neue Erfahrungen daraus hervorgehen, die im Wesen ähnlich sind.
Vielleicht hat der Vater, um den ich trauere, einen besonderen Humor gehabt, der schon oft Schweres leicht gemacht hat. Wie wäre es: Ich eigne mir seinen besonderen Blick auf die Welt an, und entwickle ähnliche Gedanken, und kann sie vielleicht irgendwann auch aussprechen. Es würde vermutlich auch anderen gut tun. Oder wenn meine Tante mich mit ihrer Geduld beeindruckt hat, könnte ich diesen Blick auf das Leben einüben. Ich kann dann fühlen, was es ihr ermöglicht hat, so gelassen zu sein. Ich könnte anderen auf diese freundliche und geduldige Art begegnen.
So kann ich mir viele Beispiele vorstellen, wie ein Samenkorn der Erinnerung zu einer neuen Pflanze in meinem Leben wächst, und mit der Zeit reiche Frucht bringt. Diese Frucht nährt mich und viele andere. Die Trauer um das Verlorene bleibt, aber mein Leben gewinnt. In den vielen neuen guten Erfahrungen bleibe ich mit dem Früheren verbunden. Gleichzeitig entwickelt sich mein Leben weiter, und das ist gut so. Ich stelle mir vor, Jesus Christus hat so etwas gemeint, als er gesagt hat: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.