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Häbel, Dr. Ulf

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

Namenlosigkeit

Namenlosigkeit

Bei einer Konferenz bin ich jemandem begegnet den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Mir war sein Name entfallen. Und das war mir peinlich. Ich kam beim besten Willen nicht auf seinen Namen. Hoffentlich merkt er es nicht, dacht ich mir, Dann habe ich sei einen kleinen Trick angewandt, der mir schon öfter geholfen hat. Ich habe einfach gefragt: Wie geht es Ihnen. Und dann hat mein Gegenüber ein bisschen von sich erzählt. Seit dem er im Ruhestand ist, engagiert er sich im Heimatverein seines Ortes, er singt im Kirchenchor und pflegt die Rosenbeete am Ortseingang wo er wohnt. Ein Nachbar hätte ihn neulich gefragt: Herr Jung, warum tun sie sich das alles an? Da fiel mir wieder ein: Jung heißt er. Ich war richtig erleichtert. Nun konnte ich ihn mit seinem Namen ansprechen.

Kann ja sein, dass einem mit zunehmendem Alter mal ein Name entfällt. Das hatte ich mir sozusagen entschuldigend für mich selber gedacht. Diese Erfahrung habe ich schon oft von älteren Menschen gehört. Manche wenden dann Eselsbrücken oder Gedächtnistricks an, um sich zum Beispiel Telefon- oder Kontonummern besser zu behalten. Auf den Namen eines Menschen bezogen ist das nur die eine Seite, die äußere. denn der Name ist ja nicht nur wie eine Zahl, die man sich merkt oder eben vergisst. Der Name ist so etwas wie die Identität eines Menschen, benennt seine Einmaligkeit. Ich finde es schön, wenn mir morgens auf der Straße Kinder die zur Schule gehen zurufen; Hallo Ulf. Und ich antworte ihnen: Hallo Helena oder Noah oder Mia.

Jemanden bei seinem Namen zu nennen, das heißt doch: Ich habe dich wahrgenommen, gesehen und ich meine dich. Du bist für mich nicht Luft, sondern ein Gegenüber, nicht weg sondern da. Vielleicht denken sie jetzt: Da übertreibt er ein wenig. So philosophisch muss es nicht sein. Mag sein. Doch von einem Philosophen unserer Zeit habe ich gelesen: Nichts wäre schlimmer für einen Menschen als ein namenloses unbeachtetes Wesen zu sein.

Die Namenlosigkeit fängt damit an, dass man den Namen eines Menschen nciht kennt und auch nicht benennt. Doch das ist keine neue Erkenntnis von Psychologen oder zeitgenössischen Philosophen. Das wussten Menschen schon immer. Das kann man schon in der Bibel nachlesen. Im dreiundvierzigsten Kapitel des Prophetenbuches Jesaja steht: Gott, der dich geschaffen hat spricht: Fürchte dich nicht; siehe ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.

Soviel wir wissen hat der Prophet diese tröstenden Worte Menschen gesagt, die nichts galten. Es waren Sklaven ohne Namen und Würde. Dies war vor zweitausendfünfhundert Jahren. Die damalige Großmacht Babylon hatte Krieg gegen Israel gemacht und militärisch gesiegt. Der Staat wurde aufgelöst, Dörfer und Städte zerstört und die Menschen, die man als Sklaven gebrauchen konnte wurden verschleppt, deportiert. Die saßen an den Wassern von Babel und weinten. So erzählt die Bibel kurz und ohne Umschweife die Situation dieser Menschen. Diese namen- und wertlose Menschen, diese Elenden würden wir sie wohl heute nennen, bringt der Prophet diese befreiende und erlösende Botschaft: Gott sagt: Fürchte dich nicht; siehe ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist gemeint.

Manchmal ist es befreiend den anderen Menschen beim Namen zu nennen. In einem Kurs für Seelsorge habe ich das erlebt. Es ging darum wie man bei Konflikten zwischen Menschen als Pfarrer vermitteln oder hilfreich sein kann. Und in dieser Lerngruppe gerieten sich zwei in die Haare. Der Konflikt eskalierte. Ein Wort gab das andere, wie man bei uns dazu sagt. Es wurde geschimpft und beschuldigt, gebrüllt und gedroht. Wir hatten alle Angst, dass bald die Fäuste fliegen. An irgendeiner Stelle mitten im Streit wurde einer der Streithähne ruhig. Er brüllte nicht mehr sondern redete normal. Und allmählich tat es der andere gleich. Sie waren immer noch nicht gleicher Meinung. Aber sie redeten anders miteinander.

"Warum bist Du auf einmal ruhiger geworden und hast anders mit deinem Gegner geredet?", haben wir hinterher gefragt. Die Antwort lautete: "Das kann ich euch sagen. Als er im Streit zum ersten mal meinen Namen genannt hat, da habe ich gedacht: Wir können uns versöhnen, denn er sieht mich als Mensch mit meinem Namen und nicht nur als Zielscheibe für seine Vorwürfe." Gott spricht: Fürchte dich nicht; siehe ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist gemeint.