Mensch
Jetzt im Spätherbst fällt sie wieder besonders auf: Die Leuchtschrift an der Weißfrauendiakoniekirche in Frankfurt. Wer abends an der Kirche im Frankfurter Bahnhofsviertel vorbeigeht, liest aus den leuchtenden Buchstaben am Vordach der Kirche das Wort „Mensch“. Die Leuchtbuchstaben haben eine eigene Geschichte: Sie stammen von dem alten Kaufhaus „M. Schneider“ auf der Zeil. Ein Kaufhaus, das berühmt war für seine besondere Atmosphäre. „Ein Kaufhaus mit Herz“ – so wirbt heute noch die Filiale in Offenbach.
Die Weißfrauenkirche ist ein besonderer Ort in Frankfurt. Als die Gemeinde diese Kirche aufgab, ist hier eine Anlaufstelle der evangelischen Diakonie entstanden. Die Kirche ist tagsüber offen – ein Raum der Stille und des Rückzugs im lauten Bahnhofsviertel. Unter der Kirche ist ein Tagestreff für wohnsitzlose Menschen. Essen, Schlafen, Duschen, Waschen – Zusammensitzen und Kleiderausgabe und einfach Aufwärmen werden dort fast jeden Tag möglich gemacht. Menschen, die hierher kommen, bringen meistens viele Probleme mit. Daher werden auch Beratungen in sozialen und rechtlichen Fragen angeboten.
So unterschiedlich ihre Geschichten sind, für fast alle gibt es eine Erfahrung, die sie verbindet. Irgendwann in ihrem Leben hat es einen Moment gegeben, an dem die schützenden Hüllen des geordneten Alltags verlorenen gingen: Familie, Wohnung, Arbeit. - Einen tiefen Riss, der sie verletzlich und ungeborgen zurückgelassen hat. Jeder von ihnen kämpft gegen den Verlust der eigenen Würde, der schon im Blick der anderen spürbar wird.
„Mensch“ – das Leuchtschild über der Kirche ist hier Programm. Weil hier Menschen aufgenommen und begleitet werden: Gott tritt uns im Menschen entgegen. Nicht nur als lebensfroher und liebenswerter Zeitgenosse, sondern auch als heimatloser, kranker und erschöpfter Mensch. Im Menschen Jesus hat sich Gott Menschen zugewendet, die Hilfe brauchten. Und Jesus selbst ist würdelos wie ein Verbrecher am Kreuz gestorben. Das Kreuz oben in der Kirche erinnert daran, dass Gott selbst sich auch in diesem hilflosen Sterben am Kreuz nicht von Jesus abgewendet hat.
In der Weißfrauenkirche kommen Menschen in den Blick, die sonst wenig wahrgenommen werden. Nicht nur in den geschulten Blick einer Sozialarbeiterin, sondern auch unter den Blick Gottes. Dieser Blick Gottes bringt auch Menschen dazu, in ihrem Mitmenschen mehr zu sehen als ihr äußeren Anschein nahelegt: Als Menschen, die von Gott geliebt und mit unvergänglicher Würde beschenkt sind.