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Eine Sendung von

Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Korbinians Apfel

Korbinians Apfel

Das war schon eine überraschende Begegnung auf der letzten documenta. Eine ganze Wand, gefüllt mit farbigen Zeichnungen im Postkarten-Format, deren künstlerischer Ehrgeiz sich in der Genauigkeit der Wiedergabe von Apfelsorten zu erschöpfen schien. Was hatte das mit moderner Kunst zu tun?

Wenn man Kunst als besondere Form des Widerspruchs gegenüber dem einem Zeitgeist begreift, dann sind die Apfelpostkarten des katholischen Priesters Korbinian Aigner ein gutes Beispiel. Und auch dafür, dass Kunst immer eine Leidenschaft voraussetzt. Leidenschaft für eine Idee, ein Medium, eine bestimmte Art, die Welt zu sehen. In der Geschichte, die hinter den Apfelpostkarten dieses Landpfarrers steht, findet sich all das wieder und sie verdient, es erzählt zu werden.

Der Bauernsohn Korbinian Aigner wurde 1885 im bayerischen Hohenpolding als Ältester von 10 Geschwistern geboren. Er hätte Hoferbe werden können, entschied sich aber für den Priesterstand und ging in die Gemeinde. Schon früh entwickelte er daneben eine Leidenschaft für den Obstanbau, gründete eine Obstbauvereinigung und sammelte Wissen und Kenntnisse vor allem über die  rund 2000 Apfelsorten, die es damals noch gab.

Farbfotografie war noch nicht erfunden, also fing er an, den jeweiligen Apfel – es konnte auch mal eine Birne sein - sehr minutiös abzuzeichnen und farblich anzulegen. Postkarten genügten ihm dabei durchaus als Bildträger, leicht zu beschaffen und vom Format her einheitlich. Vermutlich hat der geistliche Obstbaumfreund ein Fachgeschäft für Künstlerbedarf nie betreten.

In rund 50 Jahren entstanden so etwa 900 solcher Postkarten. Sie wurden auf der letzten Documenta zu einer verblüffenden Apfelwand zusammengestellt. Doch diese Huldigungen an das Erscheinungsbild der Äpfel wären wohl kaum zu documenta-Ehren gelangt, wenn den Apfelpfarrer nicht auch ein mutiges Nein zur Ideologie des Dritten Reiches ausgezeichnet hätte.

Korbinian Aigner nutzte die Kanzel, um seine Meinung zu sagen, weigerte sich, Kinder auf den Vornamen Adolf zu taufen und fand sich seit 1941 im KZ Dachau wieder. Eingeteilt zur landwirtschaftlichen Arbeit schaffte er es, hinter  seiner Baracke ein Apfelbäumchen zu ziehen. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. Den Sorten, die er dabei entwickelte, gab er den Namen KZ 1, KZ 2, KZ 3, KZ 4…Die beste davon – KZ 3 – hat die Zeiten überdauert und ist bis heute als Korbinian Apfel im Handel.

Ihr Züchter hat den Krieg ebenfalls überlebt, ging zurück in die Gemeinde, hat weiter Äpfel gezüchtet, systematisiert und gezeichnet und ist 81jährig 1966 in Freysing gestorben. Im früheren Lager Dachau erinnert ein Apfelbaum an ihn, und in der Kasseler Karls Aue inzwischen auch. Seine Botschaft ist einfach und tief: Wer sich in dunkler Zeit mit dem sich erneuernden Leben verklammert, vertreibt das lähmende Gefühl der Ohnmacht. Wie war das noch mit Martin Luther? „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“.