Hoffnung ist, wenn ich Sinn erwarte
Ein heller Stern geht in Europa auf – heute vor zwanzig Jahren. Der Stern war schon lange da, nur sehen konnten wir ihn nicht. Dann wird 1993 in Tschechien ein neuer Präsident gewählt mit Namen Vaclav Havel (1936 – 2011). Ein Schriftsteller, und was für einer. Vorher, unter der Herrschaft der Kommunisten, hat er über fünf Jahre lang im Gefängnis gesessen, weil er seine Meinung sagte. Er hat nichts Böses getan, nur offene Worte gebraucht. Das Wort Freiheit zum Beispiel. Oder das Wort Hoffnung. Dafür kann man ins Gefängnis kommen, heute noch in China. Dann aber dreht Gott die Welt ein kleines Stück; und der ehemals Verrufene und Weggesperrte wird Präsident seiner Heimat. Herrlich war das, als gehe in Europa ein leuchtend heller Stern auf. Noch dazu einer, der etwas Wunderschönes geschrieben hat. Damals, als er im Gefängnis saß. Da schreibt er „Briefe an Olga“, so heißt seine Frau. In einem der Briefe steht der großartige Satz:
Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht;
Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.
Ein Meilenstein ist dieser Satz. Man müsste ihn an alle Plakatwände schreiben. Hoffnung ist nicht, dass sich meine Wünsche erfüllen. Wünsche sind keine Hoffnung. Hoffnung ist auch nicht, dass alles so läuft, wie ich es mir vorstelle. Pläne sind auch keine Hoffnung. Hoffnung hat nichts zu tun mit dem, was ich mir so ausdenke und vorhabe. Hoffnung ist mehr. Hoffnung ist, wenn ich Sinn erwarte. Vielleicht nicht heute oder morgen, womöglich noch nicht einmal in zwei oder fünf Jahren. Sinn braucht manchmal lange, leider. Sogar unendlich lange, zum Verzweifeln lange. Das können dann schlimme Zeiten sein voller Ratlosigkeit und Ohnmacht. Man rätselt herum, sucht nach Antworten, wartet auf Zeichen. Und nichts kommt, scheinbar. Oder ich sehe und höre die Zeichen nicht vor lauter Gram. Dann bleibt nur Hoffnung. Richtige Hoffnung. Zum Beispiel die, dass ich Sinn nicht erzwingen kann. Und sei ich noch so klug und fromm und hilfsbereit. Ich kann Gott zu nichts zwingen, nur auf ihn hoffen. Wenn ich stur bleibe und warte, dass mir Sinn geschenkt wird, erkenne ich ihn besser. Schließlich hat Gott es versprochen. Wo Tränen fließen und Menschen nach Sinn suchen, gibt es auch diese Worte: Selig sind, die Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. An solchen Worten kann man sich festhalten wie an einem Geländer; auf diese Worte kann man sogar ein ganzes Lebenshaus bauen. Vaclav Havel hat es getan, als er im Gefängnis saß. Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht. Als nichts so aussah, als könne es je gut ausgehen, hofft er trotzdem. Und es wird gut. Der Schriftsteller, der im dunklen Gefängnisloch sitzt, aufersteht zum Präsidenten seines Landes. Wenn das kein Grund ist, über jedes Rätsel hinaus zu hoffen.