Geistlicher Neid
Am 29. Juni dieses Jahres saß ich mit meiner Freundin Maria, einer treuen Katholikin, in einer Dorfkirche an der Lahn und nahm an einem Gottesdienst zu Ehren von Peter und Paul teil. Das war nicht eigentlich mein Programm gewesen für diesen Tag. Doch Maria hatte mir klar gemacht: Peter und Paul ist ein kirchliches Hochfest, da besucht man als Katholikin eine Messe. Vage wusste ich, dass der Gedenktag an den Märtyrer-Tod der beiden Apostel in der Gottesdienst-Ordnung der evangelischen Kirche auch irgendwie verankert ist. Doch besonders tief war dieses Wissen nicht. Mir wäre es nicht wichtig gewesen, an diesem Samstag, an dem wir Weilburg und die Dörfer zwischen Runkel und Hadamar erkunden wollten, irgendwo an einem Gottesdienst teilzunehmen.
Nun aber saß ich mit Maria in dieser Dorfkirche und wunderte mich, dass sie nicht leer blieb. Der Priester war ein Afrikaner, ein mir eher ungewohnter Anblick hinter dem Altar. Sein dunkles Gesicht über dem weißen Messgewand mit der roten Stola schien von innen zu leuchten. Doch seine Predigt verstand ich schlecht, das Deutsch machte ihm Mühe. Dafür ließ er erfreulich viele Lieder singen und eines der Lieder sprach mich besonders an.
Es stammt von Friedrich Spee, einem Jesuiten und Seelsorger des 17. Jahrhunderts, der sich vor allem mit seinem mutigen Kampf gegen den Hexenwahn in die Geschichtsbücher eingeschrieben hat. Doch auch als Liederdichter hat er die Zeiten überdauert. „Oh Heiland reiß den Himmel auf“ – das Lied wird auch von Protestanten gern gesungen.
In diesem Gottesdienst an „Peter und Paul“, stand ein anderes Lied von ihm im Mittelpunkt. Friedrich Spee hat es 1623 gedichtet und es soll an Heiligenfesten gesungen werden, also auch heute, wo die Katholiken Allerheiligen feiern. Aus dem alten Text sei zumindest die erste Strophe zitiert: „Ihr Freunde Gottes allzugleich/ verherrlicht hoch im Himmelreich/ erfleht am Throne allezeit/ uns Gnade und Barmherzigkeit.“ Angerufen werden nacheinander Maria und die Engel, die Patriarchen, die Propheten, die Märtyrer. Und jede Strophe schließt mit dem Refrain: „Helft uns in diesem Erdental, dass wir durch Gottes Gnadenwahl zum Himmel kommen allzumal.“
Die Evangelische Kirche kennt keine Heiligsprechungen, kennt nicht die Anrufung einzelner Glaubenszeugen mit der Bitte um Fürsprache bei Gott. Der Gedanke ist uns fremd, dass ich mich von denen, die vor mir geglaubt habe, mittragen lassen kann und nicht nur auf meine schwachen Kräfte angewiesen bin. Doch wie ich so da saß, als Protestantin in dieser katholischen Messe und mit Friedrich Spee die Wolke der Glaubenszeugen besang, kam geistlicher Neid in mir auf. Und ich dachte: Würden wir wirklich etwas wesentlich Protestantisches verraten, wenn wir ein bisschen mehr Erinnerungskultur hätten? Fünfhundert Jahre Protestantismus, da kann doch am Ende nicht nur Luther übrig bleiben und fürs 20. Jahrhundert vielleicht noch Bonhoeffer!
Ich will keinen Evangelischen Heiligenkalender. Wir brauchen keine Wunder und kein Ranking des Glaubens. Wir brauchen einfach mehr Geschichten von Menschen, die eine glaubwürdige, zur Nachahmung einladende protestantische Spur gezogen haben. Und die Kraft dazu aus dem Evangelium bezogen. In Buchform liegt zwar so manches dazu vor. Doch wenig davon findet Eingang in Predigt und Gottesdienst. Es wäre so wichtig, diese Schätze zu heben. Denn gelebtes Evangelium verleiht Flügel denen, die davon hören.