hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Darmstadt

Erinnerung durch Geschmack

Erinnerung durch Geschmack

In keiner Zeit des Jahres bin ich meiner Kindheit so nah wie jetzt im Frühsommer. Wenn die Wiesen hoch stehen und die Grillen zirpen. Wenn das Grün der Bäume seine intensivste Farbe erreicht, bevor die Sommersonne beginnt es zu verdorren. Wenn das erste Obst wächst. Erdbeeren zuerst, Kirschen, Mirabellen, Äpfel. Nichts schmeckt für mich mehr nach Kindheit, als vom Baum gepflückte, unreife Mirabellen. Viel zu sauer, aber unvergleichlich.

Unsere Erinnerung wird nicht nur von Bildern getragen, sondern auch von Geschmäckern. Omas Gugelhupf, Mamas Bolognese, Brausepulver, unreifes Obst: der Geschmack lässt uns wieder eintauchen in eine längst vergangene Welt. Ruft Erfahrungen wach, die wir damals gemacht haben.

Auch die Geschichte Gottes mit den Menschen lässt sich erzählen als eine Geschichte von besonderen Geschmackserlebnissen. Mit einer besonderen Frucht beginnt diese Geschichte: Mit dem Paradiesapfel. Eva kann nicht widerstehen und beißt in die verbotene Frucht. Noch heute ist ihr Tun sprichwörtlich: Man sagt: Verbotene Früchte schmecken besonders süß. Die Konsequenzen dieses Mundraubes waren dagegen bitter. Im Schweiße ihres Angesichtes mussten Adam und Eva von da an ihr Brot erarbeiten.

Auch in einer anderen Geschichte spielt ein Geschmack eine Rolle. Am Abend, als Gott die Israeliten durch Moses aus Ägypten befreite, aßen sie ungesäuerte Brote und bittere Kräuter. Die Zeit damals war zu knapp, um den Brotteig noch durchsäuern zu lassen. Bis heute essen Juden ungesäuertes Brot, wenn sie sich zum Pessach-Fest gemeinsam an den Auszug aus Ägypten erinnern. Bis heute erinnert sie der Geschmack an einen Schlüsselmoment ihrer Geschichte mit Gott.

Auch in der Wüstenwanderung, nach der Befreiung aus Ägypten, bringt sich Gott seinem Volk in einem Geschmack näher. Als der Hunger der Menschen zu groß wird, lässt Gott Manna vom Himmel regnen: Himmelsbrot. Groß wie Korriandersamen fällt es auf die Erde wie Tau und die Israeliten können es morgens aufsammeln. Wie Brötchen mit Honig soll es geschmeckt haben. Honigbrötchen zum Frühstück – Gott hat es gut mit seinem Volk gemeint.

Auch für Christen und Christinnen trägt ein Geschmack zur Erinnerung bei. Wenn sie beim Abendmahl Brot und Wein miteinander teilen, dann erinnern sie sich daran, wie Jesus sich vor seinem Tod von seinen Freunden verabschiedet hat. Gottes Geschichte mit den Menschen ist auch eine Geschichte von Geschmäckern. Mit Gaumenfreuden erinnert er daran, dass er es gut meint. Bis heute wird so zum Abendmahl eingeladen mit den Worten: Schmecket und sehet, wie freundlich der HERR ist!