hr2 ZUSPRUCH
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Kohl, Rüdiger

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Theologischer Referent der Stellvertretenden Kirchenpräsidentin der EKHN

Die Wahrheit befreit (1)

Die Wahrheit befreit (1)

Ich bewundere Menschen, die den Mut haben, eigene große und kleine Lebenslügen aufzudecken. Es kostet viel Mut, eigene Schwächen einzugestehen und zu sich selbst zu stehen. Es kann eine Befreiung sein, eine lange unterdrückte Wahrheit auszusprechen und dann das eigene Leben zu ändern. Die Wahrheit befreit. Ich weiß nicht, ob der ehemalige Bundesliga-Fußballprofi Uli Borowka gelegentlich in der Bibel liest. Denn da steht dieser Satz, und Borowka hat ihn umgesetzt. Er führte über viele Jahre hinweg ein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker.

Vor kurzem hat er seine Biographie veröffentlicht.  Das Buch ist eine authentische Auseinandersetzung mit seinem Leben. Es heißt „Volle Pulle“, und der Titel bezieht sich nicht nur auf seine sportliche Leistungsfähigkeit. Schonungslos schreibt er von seinem Leben, von Erfolgen, von Abstürzen und tätlichen Übergriffen. Andere Menschen interessierten ihn nicht mehr. Die Sucht zerstörte seine Familie. Freunde schleppten ihn irgendwann zur Therapie. In der Suchtklinik stellte er sich im Gespräch mit anderen Betroffenen seinen Problemen. Der äußerlich so robuste und gefürchtete Fußballprofi fand heraus: Versagensängste und das Bedürfnis, es allen recht zu machen, waren der Grund für seine Flucht in den Alkohol. Probleme, unter denen auch viele nicht-prominente Menschen leiden. Diese Erkenntnis sieht Borowka im Rückblick als Befreiungsschlag.

Die Wahrheit macht frei. In der Bibel ist oft davon die Rede, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Wahrheit und Freiheit gibt. Jesus machte den Menschen Mut, die Wahrheit zu wagen: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und sie wird euch frei machen“. Jesus sagte das zu Menschen, die  einen Sinn im Leben suchten und eine neue Richtung einschlagen wollten. Sie wussten noch nicht, wohin sie dieser neue Weg führen würde. Sie zweifelten. Sollten sie nicht lieber in ihr altes Leben zurückkehren?

Jesus lud sie ein, ihr bisheriges Leben neu anzuschauen. Auch die Illusionen, die sie sich über sich selbst machten, negative Lebensmuster, die sie nach unten zogen und von der richtigen Richtung abhielten. Jesus beschrieb ihnen deshalb einen anderen Weg, auf dem sie sich von unguten und lähmenden Bindungen und Abhängigkeiten befreien konnten. Ein Weg, auf dem sie Fehler machen durften und es nicht allen recht machen mussten. Ein Weg, auf dem Gott Menschen begleiten will, bis heute. Neu beginnen, einen neuen Blick für die Mitmenschen gewinnen. Das ist die Perspektive.

Der Weg zur Erkenntnis der Wahrheit ist kein leichter Weg. Uli Borowka hat den Kampf gegen seinen stärksten Gegner gewonnen. Er hat neu angefangen, und seine Mitmenschen sind ihn nicht mehr egal. Er hält nun Vorträge, um andere Menschen zu warnen und ihnen Mut zu machen, und möchte einen Verein gründen, der alkoholkranken Menschen hilft, mit ihrer Krankheit fertig zu werden. Er sagt: „Wenn nur ein Mensch von der Flasche loskommt, habe ich es richtig gemacht.“