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Eine Sendung von

Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Die letzte Zigarette

Die letzte Zigarette

„Das ist meine letzte Zigarette.“ Wer so etwas heute sagt, legt ein Bekenntnis ab: das Bekenntnis, sein Leben als Nichtraucher fortsetzen zu wollen. „Rauchen kann lebensgefährlich sein“ – diese Warnung macht auf Dauer eben doch Eindruck.

Als sich am 22.  Februar 1943 drei junge Menschen im Gefängnis München-Stadelheim darauf verständigten, wenigstens noch eine Zigarette miteinander zu teilen, galt nicht das Rauchen, wohl aber das selbständige, das kritische Denken als höchst unerwünscht. Und weil die drei es gewagt hatten, der mörderischen Diktatur des Dritten Reiches im Namen der Humanität und der Freiheit ein öffentliches Nein entgegen zu setzen, standen sie an diesem 22. Februar 1943 vor ihrer Hinrichtung.

Es waren zwei junge Medizinstudenten mit Ostfront-Erfahrung und eine Biologie-Studentin. Ihre Namen: Christoph Probst, Hans Scholl und Sophie Scholl. Zusammen mit dem Münchner Philosophie-Professor Kurt Huber und den gleichaltrigen Freunden Alexander Schmorell und Willi Graf, bildeten sie das Netzwerk „Weiße Rose“. Über Flugblätter hat die Gruppe auf die Verbrechen des Dritten Reiches aufmerksam gemacht und zum Widerstand aufgerufen. Auch Schmorell, Graf und Huber haben das wenig später mit dem Leben bezahlen müssen.

Die „Weiße Rose“ ist nicht unbekannt geblieben. Doch Wenigen ist bewusst, in welchem Maß dieser politische Widerstand einen christlichen, einen ökumenischen Kern hatte. Hans und Sophie Scholl kamen aus einem protestantischen Elternhaus. Ihre Mutter war eine schwäbische Diakonisse,  die dem Vater zuliebe die Schwesternschaft verlassen hatte und die in einer pietistischen Herzensfrömmigkeit zuhause war. Hans Scholl war über seinen katholischen Freund Otl Aicher in ein Münchner Netzwerk kritischer Katholiken eingeführt worden, wo sich ihm die Welt der  Kirchenväter und französischer, katholischer Querdenker erschloss.

Christoph Probst kam aus einem freigeistigen Elternhaus und entdeckte über die Ökumenische Prägung seiner Mitstreiter die Welt des Glaubens. Er hat sich noch kurz vor seiner Hinrichtung taufen lassen. Alexander Schmorell,  wie die anderen jungen Männer Medizinstudent in Uniform, hatte eine russische Mutter. Er war orthodox getauft und erzogen worden und wird in der russisch-orthodoxen Kirche heute als Heiliger verehrt. Der Medizinstudent Willi Graf kam aus der katholischen Jugendbewegung und auch Kurt Huber hat sich als Philosoph intensiv mit dem Wesen des Christentums auseinandergesetzt.

In dieser bunten Mischung war die Weiße Rose gelebte und mit dem Leben bezahlte Ökumene. Es gibt wenig eindrucksvollere. Aber auch wenig traurigere. Die Verurteilten hatten darum gebeten, vor ihrer Hinrichtung gemeinsam das Abendmahl einnehmen zu dürfen. Die beiden Scholls waren damit einverstanden gewesen, dass es ihnen von dem katholischen Geistlichen gereicht wurde: All die theologischen Unterschiede – „das spielt doch jetzt gar keine Rolle mehr“ hatte Sophie gemeint. Doch die Gefängnisordnung erlaubte es nicht.

Es waren schließlich die Gefängniswärter, die den drei Todeskandidaten noch einmal zu einem Augenblick der Gemeinsamkeit verhalfen. Zu einer letzten Zigarette. „In der Ewigkeit sehen wir uns wieder“ soll Christoph Probst zum Abschied gesagt haben.