hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Der Kirchentag: Große Erwartungen und bittere Wahrheiten

Der Kirchentag: Große Erwartungen und bittere Wahrheiten

In Hamburg beginnt heute mit einem Eröffnungsgottesdienst und dem „Abend der Begegnung“  der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag. Hunderttausende werden sich heute Abend auf dem Rathausmarkt drängeln. Die neue Hafen-City entdecken. Um die Binnenalster flanieren und sich später dort den Abendsegen holen. Gemeinden aus dem Norden Deutschlands bewirten die Gäste mit Spezialitäten ihrer Region. Immer wieder wird irgendwo gesungen, tut sich ein Bläser-Ensemble zusammen, treffen sich Menschen, die einander lange nicht gesehen haben. „Mensch, Du bist auch da!“

Sie sind schön, diese Abende der Begegnung, und voll Vorfreude. Kirche wird sichtbar als eine Großorganisation, von der immer noch Bewegung ausgeht, Bewegung und Attraktion. Vor allem auch für junge Menschen. Seine Besonderheit erhält dieser Hamburger Kirchentag dadurch, dass die gastgebende Landeskirche, die sogenannte Nordkirche, hier zum ersten Mal ihre Visitenkarte abgibt. Sie ist nämlich noch kein Jahr alt und entstand aus dem ökonomisch notwendigen Zusammenschluss dreier bisher selbständiger Landeskirchen. Einer West-Kirche, die Hamburg und Schleswig-Holstein umfasste, und zwei kleineren Ost-Kirchen, in Mecklenburg und Pommern. Die neue „Nordkirche“ reicht nun von Flensburg bis Usedom und ist flächenmäßig eine der größten evangelischen Landeskirchen.

2,2 Millionen Evangelische lutherischer Prägung sind hier zu haus. Sie sammeln sich in rund 1000 Gemeinden und tragen Verantwortung für fast doppelt so viele Kirchenbauten. Eindrucksvolle Zahlen. Doch die Wirklichkeit dahinter ist oft bitter. Die Anzahl der Christen in der ehemals selbständigen pommerschen Landeskirche, mit Greifswald als Mittelpunkt, ist unter die 100.000 gesunken und die Gemeinden sind stark überaltert. Auf 16 % geschrumpft ist auch im Mecklenburgischen der Anteil der Protestanten an der Gesamtbevölkerung. Und selbst das ehemals protestantische Hamburg bringt es nur noch auf schlappe 30 %. Lediglich von Schleswig-Holstein kann man sagen, dass die traditionelle Kirchenbindung noch leidlich stabil ist.

Die Kirchen müssen zur Kenntnis nehmen, dass Konfessionslosigkeit heute in vielen Milieus längst salonfähiger ist als Kirchenmitgliedschaft. Tun sie das? Wenn ich lese, wie sich ein hoher Repräsentant der Nordkirche angesichts des Kirchentages in Begeisterung redet, bin ich mir da nicht so sicher: „Kirchentag“, sagt dieser Bischof, „das ist ein Fest der Gegenwart Gottes, der die Welt aus dem Gestern ins Morgen führt, der mit prophetischer und priesterlicher Stimme zugleich Gottes Realität in der Realität der Welt behauptet und feiert.“ Hätten Sie`s nicht ein bisschen kleiner? möchte ich da fragen.

So ein Kirchentag ist erst einmal ein gigantischer, konzeptioneller und organisatorischer Kraftakt.  Er gilt in hohem Maß dem Brückenschlag zwischen Kirche und Gesellschaft. Viel Prominenz ist eingebunden in das riesige Programm. Über Hunderttausend Dauergäste haben sich für die vier Tage angemeldet. Der Kirchentag: die zweitbeste Erfindung kirchlicher PR, nach Weihnachten. Dass spirituelle Energie daraus wird, haben die Organisatoren nicht in der Hand. Die entsteht im Einzelnen und im Verborgenen. Man kann ihr den Boden bereiten. Doch der Geist Gottes ist eigensinnig. Er weht wo er will. Für Hamburg wünsche ich ihn mir als kräftige Brise.