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Schoen, Dr. Ursula

Eine Sendung von

Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Den Gefangenen Freiheit geben

Den Gefangenen Freiheit geben

Bei einem Spaziergang im vergangenen Herbst am Frankfurter Mainkai blieb ich überrascht stehen. Das kleine Gitterfenster im Brückenpfeiler war mir noch nie aufgefallen. Noch überraschender aber war, was ich hinter den Stäben sah: Ein Frauengesicht – schemenhaft nur aber doch deutlich! Ihre Finger suchen den Weg durch die Gitterstäbe. Ihre Augen blicken direkt in meine. – Nach einer Schrecksekunde stellte ich beruhigt fest – das ist nur ein Foto!

Mit dieser kleinen Installation provoziert der Künstler ein kurzes Nachdenken über mich - als die Freie draußen und die, die drinnen hinter Gittern sitzen. Für einen Augenblick spüre ich den Appell, die Frau dort rauszuholen: Einfach das Gitterfenster zu öffnen, um ihr Freiheit zu schenken.

An mehreren Stellen in Frankfurt hatte der Straßenkünstler Dan Witz für einige Wochen solche Installationen geschaffen. Er brachte Fotos mit menschlichen Gesichtern hinter Schachtgittern an und verwandelte sie so in imaginäre Haftzellen. Amnesty International nutzte dieses Kunstwerk als Teil einer Kampagne, um auf acht Einzelschicksale verfolgter Menschen aufmerksam zu machen. Amnesty wollte mit dieser Aktion Menschen in unser Blickfeld rücken, die aus Willkür und ohne Hoffnung auf ein faires Gerichtsverfahren in Gefängnissen sitzen.

„Wenn der Herr die Gefangen erlöst, werden wir sein wie die Träumenden!“ – Diese Worte aus Psalm 126 berühren mich tief. Der Traum von der Erlösung aller Gefangenen! Sie binden mich ein in eine Befreiungsgeschichte, die die Bibel als Hoffnung für die Welt bezeugt. Die Hoffnung auf das Ende aller Trennungen zwischen den Ohnmächtigen und den Mächtigen, zwischen denen drinnen und denen draußen, zwischen denen, die Recht setzen und denen, die Unrecht erleiden. Diese Hoffnung wird in der Geschichte Gottes mit Israel und in der Begegnung mit Jesus immer wieder gestärkt. Sie lässt mich nicht als Ohnmächtige zurück, sondern öffnet mir den Blick für das Machbare. - Amnesty International hat seit seiner Gründung durch viele kleine Aktionen des “Machbaren“ Tausenden von Menschen die Rückkehr in die Freiheit ermöglicht.

Die Befreiung der Gefangenen ist schon immer ein Zielpunkt revolutionärer Bewegungen gewesen - ein Signal für eine politische Zeitwende. Der Sturm auf die Bastille während der französischen Revolution, die Öffnung der Tore von Auschwitz  durch die Sowjetische Armee, das Aufschließen der Einzelzellen in Hohenschön-hausen im Herbst 1989 – sie haben Hoffnungsgeschichte geschrieben. Hoffnungsgeschichte, die nicht denkbar wäre ohne die biblische Zusage: „Wenn der Herr die Gefangenen befreit, werden wir sein wie die Träumenden!“