hr2 ZUSPRUCH
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Vorländer, Martin

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt

Aufstehen - Auferstehen

Aufstehen - Auferstehen

Aufstehen kann schrecklich sein. Der Wecker hat geklingelt. Man weiß, man muss raus aus den Federn, der Tag wartet. Aber am liebsten würde man sich unter der Bettdecke verkriechen und liegen bleiben. Aufstehen kann viel Kraft und Überwindung kosten. Man hört die Appelle: „Los, auf! Steh deinen Mann, steh deine Frau! Tu deine Pflicht – kneifen gilt nicht.“

„Du musst stehen!“, bekommen manche Kinder von ihren Eltern als Lebensdevise mit auf den Weg. Du musst stehen, wenn andere Schüler dich hänseln. Du musst stehen, wenn du dich als Erwachsener im Berufsleben behaupten willst. Das funktioniert, das kann einen anspornen und antreiben. Aber es geht nicht immer. „Eigentlich fehlt mir die Kraft“, sagt einer, der sich angeschlagen aus dem Bett in den Tag schleppt. „Aber ich kann mir ein Schwächeln nicht leisten, ich muss das jetzt durchstehen.“ Stehen müssen ist schrecklich.

Aufstehen dürfen ist herrlich. Nach einer schweren Operation, Reha und unzähligen Morgen in sterilen Krankenhauszimmern kommt eine Frau wieder nach Hause. Sie freut sich wie ein Kind, endlich wieder im eigenen Bett zu schlafen und aufzuwachen. Das Aufstehen wird zum Fest. Keine Schläuche mehr, die sie fesseln. Selber aufstehen, noch mitgenommen zwar, aber wieder auf den Beinen. Im Supermarkt einkaufen gehen und geschäftig auf der Straße unter Leuten zu sein, ist ein Erlebnis wie Auferstehung.

Einen jungen Mann hat die Grippe fest in ihren Griff genommen. Er kennt es kaum, sich so schlapp zu fühlen. Endlich nach Tagen der Bettruhe und fiebrigen Nächten spürt er, wie die Krankheit aus dem Körper weicht. Frische Kraft strömt durch die Glieder. In ihm erwacht ein Tatendrang zum Aus-dem-Bett-Springen und Bäume-Ausreißen.

Eine Frau in der Mitte ihres Lebens, erfolgsverwöhnt, muss einen beruflichen Rückschlag nach dem anderen einstecken. Es ist, als hätte sich alles gegen sie verschworen. Hatte sie bislang immer ein goldenes Händchen, scheint ihr nun alles zu entgleiten. Ihre Stärken, auf die sich sonst immer verlassen kann, sind wie weg. Selbstzweifel rauben ihr den Mut und halten sie gefangen. Auf einmal – sie kann selbst nicht sagen, wie – löst sich der Knoten. Sie fasst wieder Tritt. Sie freut sich über jeden Schritt, den sie vorwärts tun kann.

Die Theologin Dorothee Sölle sagte: „Die Auferstehung ist längst schon vor dem Tod sichtbar, in dieser anderen Art zu leben. Jesus glaubte vor allem an ein Leben vor dem Tod, und für alle.“ (Dorothee Sölle, Mut, S. 150) Auferstehung lässt sich feiern wie an Ostern und in der Osterzeit mit Vasen voller Blütenzweigen, mit Ostereiern und den vielen Symbolen für neues Leben.

Hoffnung auf Auferstehung gibt es für ein Leben nach dem Tod. Hoffnung auf Auferstehung gibt es schon jetzt für ein Leben vor dem Tod. Für die kleinen und großen Auferstehungen mitten im Leben zum Leben.