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Häbel, Dr. Ulf

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

Auf einem der Sterne ist die Oma

Auf einem der Sterne ist die Oma

In einer Familie war die Oma gestorben. Ein paar Tage nach der Beerdigung fragte das vierjährige Enkelkind seine Mutter: „ Wo ist die Oma jetzt?“ Die Mutter antwortete: „Wenn Du abends die Sterne am Hummel siehst - auf einem davon ist die Oma.“ Kann man einem Kind so eine Antwort geben? Erwachsenen fallen sofort kritische Fragen ein: Wie soll man das denn vernünftig erklären - ein verstorbener Mensch als Sternenschein? Ist ein solcher Glaube nicht ein Rückfall in die Astralreligion des Altertums? Damals, vor tausenden von Jahren, glaubten die Menschen: Auf jedem leuchtenden Stern ist irgendein Gott zuhause. Als aufgeklärter Theologe kann ich das so nicht sagen.

Aber das Kind ist mit der Antwort der Mutter zufrieden, zumindest im Moment. Das Kind hatte miterlebt, wie die Oma gestorben war. Wie sie dann in den Sarg gelegt und ein paar Tage später auf dem Friedhof begraben worden ist. Der leblose Körper, die äußere Hülle des Lebens, wie die Bibel den Leib des Menschen nennt, war ins Grab gelegt worden.

Aber die Oma, das war für das Kind doch der Mensch, der es oft auf dem Schoß gehalten und der Märchen erzählt hatte. Mit der Oma hatte das Kind singen und beten gelernt, mit ihr gelacht und gealbert. Die Oma hat seine Hand gehalten, sie hat es zum Kindergarten gebracht oder dort abgeholt. Es kann doch nicht sein, dass dieser Mensch einfach ganz weg ist, spurlos verschwunden. Für das Kind ist die Vorstellung tröstlich, dass auf irgendeinem Stern am Himmel die Oma ist.  So ist Sie nicht ganz weg, als hätte es sie niemals gegeben. Es bleibt von ihr eine leuchtende Spur.

Ganz ähnlich redet der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry im „Kleinen Prinzen“. Der kleine Prinz war von einem Stern auf die Erde gekommen. Und er freundete sich mit dem Fuchs an, dem er jeden Tag an demselben Platz zu derselben Zeit begegnete. Eines Tages sagte der Prinz zum Fuchs: „Heute siehst Du mich zum letzten Mal; ich kehre zurück auf den Stern, von dem ich gekommen bin.“ Und der Fuchs antwortete traurig: „Dann bleibe ich alleine, einsam zurück. Du bist weg, spurlos verschwunden, und ich bin ohne Freund“. „Ganz so ist es nicht“, sagte der kleine Prinz. „Du musst abends an den Himmel leuchtenden Himmel schauen. Auf einem der Sterne bin ich. Dann denkst Du an mich, und ich denke an Dich. Dann bin ich Dir nahe und bin nicht ganz weg.“

Zu allen Zeiten haben Menschen mit solchen oder ähnlichen Vorstellungen eine Antwort auf die Frage geben wollen, was mit einem geliebten Menschen ist, wenn dieser tot ist. „Wo ist die Oma jetzt?“, fragte das Kind. Der christliche Glaube antwortet so: Nein, sie ist nicht weg, als hätte es sie niemals gegeben. Da bleibt etwas vom Leben, da ist etwas unvergänglich. Für mich sind die Worte des neunzigsten Psalms tröstlich und gut: Gott ruft die Menschen ins Leben, und er lässt sie auch sterben. Er spricht  „Kehrt wieder zurück, ihr Menschenkinder, ins Leben!“